Leben in der Republik Schirgiswalde

36 Jahre Staatenlosigkeit brachten einst die große Freiheit nach Schirgiswalde (M.D.) Es hat schon seine Vorteile, wenn man eine getriebene Gemeinde zwischen zwei Staaten ist. Für die Geldbörsen...

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36 Jahre Staatenlosigkeit brachten einst die große Freiheit nach Schirgiswalde

(M.D.) Es hat schon seine Vorteile, wenn man eine getriebene Gemeinde zwischen zwei Staaten ist. Für die Geldbörsen der Bürger zum Beispiel ist eine solche Staatenlosigkeit eine wahre Kur, weil keine Steuern abgeführt werden müssen. Für die Familien ist sie ein Geschenk, weil die jungen Väter nicht zum Kriegsdienst gerufen werden. Handel kann lebhaft getrieben werden, da niemand Zölle erhebt. Schirgiswalde erlebte solch goldene Zeiten zwischen 1809 und 1845. Als nach dem Frieden zu Schönbrunn Österreich seine Enklaven an Sachsen abgeben musste, Sachsen aber die Schirgiswalder aus undurchsichtigen Gründen nicht aufnahm, da fand sich ein 7qkm kleines Gebiet plötzlich in der Staatenlosigkeit wieder.

„Republik Schirgiswalde“ nennt man den kleinen gesetzesflüchtigen Zwergenstaat im Rückblick liebevoll. Waren es doch Spielräume einer einzigartigen Freiheit, die das Leben jener Tage an diesem Ort prägten. Einzig die Grundherrschaft war geregelt: Das Domstift zum sächsischen Bautzen zeichnete für Schirgiswalde verantwortlich. Gesetzliche Neuordnungen jedoch erreichten die Schirgiswalder weder aus Böhmen / Österreich noch aus Sachsen. Bei geringen Vergehen vollzogen sie, nach österreichischem Recht, ihre eigene Rechtsprechung. Stockhiebe auf dem Marktplatz oder die Zurschaustellung gestohlener Waren durch den Dieb selbst waren gängige Erziehungsmaßnahmen. Für Flüchtlinge jeder Art bot Schirgiswalde sichere Zuflucht. Auch Deserteure der verschiedenen Heere suchten in der Schirgiswalder Autonomie ihr Heil.

Das böhmische Lotto, in Deutschland strengstens verboten, versprach hohe Gewinne. Der Handel florierte, da Waren für die Verschmuggelung nach Böhmen zollfrei eingeführt werden konnten. Das funktionierte solange, bis 1834 der Sächsische Zollverein gegründet wurde, in den Schirgiswalde sich gezwungenermaßen aufnehmen ließ. Die Bindung an Sachsen durch den Handelsvertrag von 1840 war vielleicht der erste Todesstoß für die kleine Republik. Und als im April 1840 Ignaz Knüpfer aus Lobositz zum Gerichtsverwalter für Schirgiswalde gerufen wurde, wurde alles noch schwieriger. Knüpfers tyrannische Natur und seine Steuergier ließen die Schirgiswalder aufmüpfig werden. Die übertriebene Bestrafung des jungen Josef Nitsche zettelte einen Aufstand an, der zwar im Sande verlief, das Domstift jedoch veranlasste, die Aufnahme Schirgiswaldes nach Sachsen zu erbitten. Die feierliche Übergabe am 4. Juli 1845 besiegelte nach 36 Jahren die große Freiheit Schirgiswaldes und seiner Bürger. In ihren Herzen aber hat sie sich wohl fest eingebrannt.

 

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