21-Jähriger deckt mit Freunden Schicksal Wittichenauer Juden auf

Wittichenauer Spielschule 1931: Das einzige historische Bild, das die Pfadfinder auftreiben konnten, auf dem sich noch ein Mitglied der Familie Neufeld wiederfindet: Rut Neufeld. Foto: wittichenauer-pfadfinder.de Fünf Stolpersteine...

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Wittichenauer Spielschule 1931: Das einzige historische Bild, das die Pfadfinder auftreiben konnten, auf dem sich noch ein Mitglied der Familie Neufeld wiederfindet: Rut Neufeld. Foto: wittichenauer-pfadfinder.de
Wittichenauer Spielschule 1931: Das einzige historische Bild, das die Pfadfinder auftreiben konnten, auf dem sich noch ein Mitglied der Familie Neufeld wiederfindet: Rut Neufeld. Foto: wittichenauer-pfadfinder.de

Fünf Stolpersteine erinnern vor dem Haus Hosker Straße 30 an die jüdische Familie Neufeld, die 1938 aus Wittichenau deportiert wurde. Das Geschichtsprojekt der Wittichenauer Pfadfinder konnte jetzt das Schicksal von Hermann, Zipora, Rosa, Klara und Rut Neufeld, die in der Zeit des Nationalsozialismus einige Jahre in der Stadt lebten, nachzeichnen. Dabei begann alles mit einem Zufall: „Auf einer Schulexkursion nach Berlin zum Holocaust-Denkmal gab ich den Namen unserer Heimatstadt ein“, erzählt Projektleiter Eric Schimann. Zu seiner Überraschung gab die Suchanfrage den Namen der jüdischen Textilhändlerfamilie Neufeld heraus, die in einem Vernichtungslager ums Leben kam. Die Neugier des 21-Jährigen war geweckt. Er befragt Einwohner und trifft Zeitzeugen. Schließlich bekommt er ein Bild in die Hände, auf dem eins der Kinder zu sehen ist. Dieser Fund bestärkt Eric in seinem Vorhaben, Licht ins Dunkel der Geschichte zu bringen. Mit einem angehenden Geschichtslehrer entwickelt er die Idee für ein Jugendgeschichtsprojekt. Als langjähriger Gruppenführer der Wittichenauer Pfadfinder kann Eric außerdem zehn Pfadfinder im Alter von 15 bis 26 Jahren für eine Mitarbeit gewinnen. Im März 2011 wählt eine Jury das Projekt für eine Förderung aus. Neben 23 weiteren sächsischen „Zeitensprünge“-Projekten dürfen sich Eric und seine Mitstreiter über finanzielle und fachliche Unterstützung freuen. Und das fanden die Jugendlichen heraus: In Wittichenau lebten zur Zeit des Nationalsozialismus zwei jüdische Familien. Familie Hilsenrath wohnte am Markt 17. Zur Familie gehörten neben Vater Erich und Mutter Chaja die Söhne Salomon und Max, sowie Tochter Sonja. Auf der Hosker Straße 30 wohnte Familie Neufeld. Zu ihr gehörten Vater Hermann, Mutter Zipora und die Töchter Rut, Klara und Rosa. Beide Familien lebten zurückgezogen.

Die Stolpersteine der Familie Neufeld in Wittichenau. Foto: wittichenauer-pfadfinder.de
Die Stolpersteine der Familie Neufeld in Wittichenau. Foto: wittichenauer-pfadfinder.de

Klara und Rosa waren im Wittichenauer Turnverein. „Dass sie Repressalien ausgesetzt waren, haben unsere Zeitzeugen bestritten. Dennoch sahen es manche Lehrer nicht gern, wenn sich die Wittichenauer Schüler mit den Juden abgaben“, erzählt Eric. Eine Klassenkameradin berichtete: „Wir durften nicht groß mit ihnen reden.“ Die überwiegende Bevölkerung habe gegenüber den Juden aber keine Vorbehalte gehegt. Familie Hilsenrath verschwand als erste aus Wittichenau. Es wird gemutmaßt, die Familienmitglieder seien geflohen – nach Argentinien. “Wir fanden keine Hinweise zu ihrem Schicksal und konzentrierten uns mit unseren Nachforschungen auf Familie Neufeld“, so Eric. Während der Großteil der Zeitzeugen lediglich ihr plötzliches Verschwinden feststellte, konnte sich eine Zeitzeugin an ein mitgehörtes Gespräch erinnern. Darin wurde von der Deportation der Familie Neufeld berichtet. Ende Oktober 1938 fährt nachts ein LKW in die Haschkestraße, dem damaligen Wohnort der Neufelds. Sie werden brutal dazu genötigt, aufzusteigen und nach Polen abgeschoben. Die Recherchen ergaben, dass mehrere Mitglieder der Familie im Vernichtungslager Bełżec ermordet wurden. Dieses Schicksal teilten sie mit mehr als 430 000 Menschen, die zwischen März und Dezember 1942 dort ihr Leben lassen mussten.

Hintergrund

Projektleiter Eric Schimann (2. v. l.) bei der Stolperstein-Verlegung in Wittichenau. Foto: wittichenauer-pfadfinder.de
Projektleiter Eric Schimann (2. v. l.) bei der Stolperstein-Verlegung in Wittichenau. Foto: wittichenauer-pfadfinder.de

Neufelds waren polnische Staatsbürger. Sie stammten aus Galizien. Von dort waren um die Jahrhundertwende hunderttausende Juden gen Westen emigriert. Sie hofften, in den besser entwickelten Industriestaaten leichter Arbeit und Einkommen zu finden. So zog vermutlich auch Familie Neufeld nach Westen und ließ sich zunächst im Böhmerwald, später in Wittichenau nieder. Doch das erhoffte bessere Einkommen fand die Familie nicht. So versuchte Hermann Neufeld, seine fünfköpfige Familie als Textilhändler zu ernähren.

Weitere Informationen zum Leben der Wittichenauer Juden und Erzählungen von Zeitzeugen gibt es unter:

http://stolpersteine.wittichenauer-pfadfinder.de/

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