450 Jahre Johnsdorf – geschichtsträchtig und lebenswert

Die bevorstehenden Feierlichkeiten zum Jubiläum meines Heimatortes waren für mich Anlass, wieder einmal in Erinnerungen zu kramen, die mein Dorf und mich nachhaltig geprägt haben. Ich lebe nun...

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Die bevorstehenden Feierlichkeiten zum Jubiläum meines Heimatortes waren für mich Anlass, wieder einmal in Erinnerungen zu kramen, die mein Dorf und mich nachhaltig geprägt haben. Ich lebe nun schon mehr als 60 Jahre in Johnsdorf, dem kleinen Heidedorf unweit von Königswartha. Der Ort ist mir ans Herz gewachsen und ich möchte mir nicht vorstellen, ihn einmal zu verlassen. Ich glaube, diese Gedanken nicht nur mit meiner Familie, sondern mit vielen Johnsdorfern zu teilen.

Beim Suchen nach Dokumenten vergangener Zeiten fiel mir ein Kästchen mit alten Zeitungsausschnitten und zum Teil schon vergilbten Papieren in die Hände. Zuerst las ich die wichtigsten Daten, in nüchternen Zahlen dargestellt, hinter denen sich aber so viel Spannendes verbirgt. Die erste schriftliche Überlieferung eines Dorfes „Janßdorff“ datiert aus dem Jahr 1565. Wahrscheinlich entstand unser Ort aber schon weit früher, im 14. Jahrhundert, als eine Holzfällersiedlung. Auf einer alten Karte steht es jedenfalls so geschrieben. Der Name des Dorfes wechselte häufig und lässt sich von Janßdorff (1565) über Jahnsdorff und Jonsdorf bis zur heutigen Schreibweise Johnsdorf (1768) verfolgen. Mit der Zugehörigkeit des Vorwerkes Johnsdorf zum Rittergut Königswartha verbanden sich seither Fron- und Spanndienste und vielfältige Abgaben für die Heidebauern aus Johnsdorf.

Als nächstes fiel mir ein abgegriffenes Heft mit einem Eisernen Kreuz auf dem Deckblatt in die Hände. Ich las den Titel „Gefecht am Eichberg – 19. Mai 1813“. Von diesem Ereignis, ganz in unserer Nähe, hatten mir Vater und Großvater schon erzählt und mich neugierig gemacht, mehr darüber zu erfahren. An jenem Maitag 1813 zogen russische und preußische Soldaten durch Johnsdorf, erst auf dem Vormarsch, dann auf dem Rückzug. Es war der Vorabend der großen Schlacht bei Bautzen. Im Walde, am Wege von Johnsdorf nach Steinitz, steht ein steinernes Kreuz-Kreuzstein mit einem eingeritzten Schwert.

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Um diesen Ort ranken sich ja bekanntlich mehrere Sagen und ich erinnere mich gehört zu haben, dass es ein Generalsgrab aus jener Zeit sein soll.

In meinem Kästchen fand ich auch einen alten, kaum noch lesbaren Quartierschein aus dem Jahr 1813. Darauf ist vermerkt, dass Johnsdorf vom 19. Mai bis 2. Juni 1813 198 französische Soldaten und von September bis Mitte Oktober des gleichen Jahres 124 preußische Reiter und deren Pferde unterbringen und versorgen musste; welche Last für die wenigen im Dorf lebenden Männer und Frauen. Die genauen Bevölkerungszahlen aus dieser Zeit kenne ich nicht, aber ein historisches Ortsverzeichnis von Sachsen verrät mir, dass 1777 drei Gärtner und vier Häusler in Johnsdorf lebten. Im Jahr 1834 waren schon 70 Einwohner hier registriert. Auf einer alten Landkarte steht im erklärenden Text der Hinweis, dass 1884 in Johnsdorf 76 Sorben und ein Deutscher lebten. Übrigens befand sich in meinem „Schatzkästchen“ auch die Abbildung eines sorbischen Grabsteines von einem Mann, der in unserem Dorf gelebt hat.

In meiner Sammlung stieß ich unter anderem auf die Abbildung eines alten Johnsdorfer Amtssiegels und auf die Anwesenheitsliste einer Dorfversammlung, die am 20. August 1888 stattgefunden hatte. Was dort wohl besprochen wurde? Eine Postkarte aus dem Jahr 1913 von der Einweihung des Eichberg-Denkmals ist auch darunter. Sicher waren auch Johnsdorfer unter den darauf Abgebildeten.

Der Erste Weltkrieg nahm auch in unserem Dorf mancher Familie den Vater, den Sohn oder den Bruder. Mein Großvater wurde immer ganz ernst und nachdenklich, wenn wir über diese Zeit sprachen. Ich entdeckte auch Fotos vom Straßenbau in Johnsdorf aus dem Jahr 1920; „Gruppenbild mit Dampfwalze“ könnte man als Überschrift wählen. Ich suchte weiter in meinen Raritäten und fand einen Bericht über die Elektrifizierung von Johnsdorf, welch bedeutendes Ereignis. Ende 1922 gab es in den meisten Stuben elektrische Lampen, statt der Petroleumfunzeln. Ein Bauer widersetzte sich dem Aufstellen der Strommasten. Ein „sturer Hund“, sagte mein Großvater immer. Einige Jahre später hielt die neue Zeit aber auch bei diesem Bauer Einzug.

Unter meinen Fotos fand ich auch zahlreiche Bilddokumente aus der Zeit, als die Arbeit auf dem Feld, im Wald oder am See schwere körperliche Arbeit bedeutete. Das galt für Männer und Frauen gleichermaßen, denn zur Ernährung der Familien wurden alle Hände gebraucht. Zu sehen sind Frauen bei der Getreideernte, ein Fischer mit einem riesigen Karpfen, den er aus dem Wasser zieht und auch die Arbeiter beim Holzeinschlag im nahen Wald.

Ich fand auch Fotos von einem Trauerzug, der durch die Straßen von Königswartha zog. 1925 starb der letzte Rittergutsbesitzer aus Königswartha, Gerhard Kluge. Seinem Sarg folgte eine stattliche Trauergemeinde. Der Sarg wurde dabei von acht Männern in Forstuniformen getragen. Das Rittergut Königswartha und damit das Vorwerk Johnsdorf, sowie die Güter Casslau und Kolbitz fielen an den Bruder des Verstorbenen, Herbert Kluge. Dieser war bereits Herr auf Gut Uhyst. In Johnsdorf versah der Verwalter Bormann die Geschäfte für den Gutsbesitzer.

Ebenso fand ich einen Ausweis des Radfahrvereins Königswartha und ein Bild von zwei Johnsdorfer Radfahrern, Gerhard Pötschke und Richard Schwurack. Beide sind vor der Schneekoppe im Riesengebirge zu sehen, wohin sie im Jahr 1930 mit ihren Rädern unterwegs waren. Dies ist auch heute noch eine respektable Leistung mit dem damals vorhandenen „Material“.

In Johnsdorf sollte, wie in unzähligen anderen deutschen Dörfern und Städten auch, im Jahre 1933 mit der Pflanzung einer Eiche symbolisch ein tausendjähriges Reich begründet werden.

Die Eiche auf dem Dorfplatz steht heute noch, das tausendjährige Reich war nach nur 12 Jahren untergegangen. Unsägliches Leid war während dieser Zeit auch über unser Dorf hereingebrochen. Im Vorwerk des Ortes wurde 1937 ein Heim der Hitlerjugend eingerichtet. Drei Jahre später, nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, dienten das große Wohnhaus und die Nebengebäude der Unterbringung von französischen Kriegs-gefangenen. Das Ende des Krieges brachte die Besetzung unseres Dorfes durch polnische Soldaten und die traurige Gewissheit, dass sieben Männer aus Johnsdorf nie wieder heimkehren würden.

Mein Vater, der mich beim Suchen nach Zeugnissen vergangener Tage überraschte, zeigte mir einen Genehmigungsschein vom Sommer 1944, der zum Sammeln von Pilzen und Beeren im angrenzenden Wald berechtigte. Ich habe meinen Eltern schon oft voller Spannung und Interesse zugehört, wenn sie über den schweren Wiederbeginn nach dem Krieg erzählten. Deshalb interessiere ich mich nun auch für eine schon recht abgegriffene Flurstückskarte aus dieser Zeit. Neben den vielen kleinen Flurstücken, befinden sich einige größere Flächen auf der Karte, besonders südlich und westlich vom Ort gelegen, die mit dem Wort „Rittergut“ gekennzeichnet sind. Diese Flächen gingen als Bodenreformland 1945/46 an Landarbeiter und Kleinbauern.

Das dörfliche Leben begann sich langsam wieder zu gestalten. In meiner Sammlung entdeckte ich einen Zettel, der aus einem Block herausgerissen wurde. Er stammte von der Gründungsversammlung der Johnsdorfer freiwilligen Feuerwehr im Jahre 1947. Neun Kammeraden trugen sich in diese Anwesenheitsliste ein. Rudi Frenzel wurde der erste Wehrleiter. Im gleichen Jahr entstand das alte kleine Gerätehaus für die alte TS 3 auf dem selbstgebauten „grünen Zweiräder“. Wenn ich die Fotos nicht vor mir hätte, könnte ich mir kaum vorstellen, wie es damals in unserem Dorf aussah. Aus dem Frühsommer 1948 stammt eine andere Rarität: Ein Aufruf zur Teilnahme am Volksbegehren zur Deutschen Einheit im Ort Johnsdorf. Heute wissen wir alle, dass es noch mehr als 40 Jahre dauern musste, bis diese Einheit Realität wurde.

Zahlreiche Zeitungsausschnitte aus der Zeit der LPG-Gründung im Jahr 1960 gehören auch zu meinem Fund. Bei meiner Suche nach Zeitzeugnissen bin ich in meinem eigenen Leben angekommen. Von nun an wird die Johnsdorfer Chronik immer mehr die Betrachtung meines eigenen Lebens hier im Ort.

Es war schon spät am Abend, als ich meine kleine Kiste mit den vielen wertvollen Erinnerungen an vergangene Zeiten wieder schloss. Ich weiß, dass es nicht weniger spannende und interessante Geschichten über Johnsdorf und seine Bewohner aus den letzten von uns allen durchlebten Jahren gibt.

Aber den Stoff für diese Geschichten finden wir alle bei uns selbst am besten.

Ich danke meiner Familie und allen, die mich inspiriert haben, über 450 Jahre Johnsdorf einmal ganz anders nachzudenken und zu forschen.

Werner Sporka, Johnsdorf im Juni 2015

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