Manches verheiratete Paar, das die Silberhochzeit begeht, hat sich eigentlich längst auseinander gelebt. Nach dem kürzlich gefeierten 25. Jahrestag der deutschen Einheit heißt es dagegen noch immer: Es wächst zusammen, was zusammen gehört. So kommentierte Willy Brandt den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989. Viele sind der Meinung, dass sich jenes Datum besser als Nationalfeiertag der Deutschen geeignet hätte. Allein schon wegen der mit großen Emotionen verbundenen Erinnerungen an das denkwürdige Ereignis. Dadurch, dass der 9. November auch für andere historischen Zäsuren steht, so z.B. die Revolution 1918 und die Pogromnacht 1938, würde das besser zur wechselvollen deutschen Geschichte passen. Stattdessen wird mit der Wiedervereinigung halbherzig ein reiner Verwaltungsakt vom 3. Oktober 1990 gewürdigt. Möchte man keinen Nationalfeiertag, der diesen Namen verdient? Wenn irgendwo zu viele schwarz-rot-goldene Fahnen wehen, wird reflexartig vor Nationalismus gewarnt. Es sei denn, es ist Fußball-Weltmeisterschaft. Dann gehören sie zu einem traumhaften Sommermärchen. Doch das war 2006. Und in einem anderen Deutschland.
Der Sommer dieses Jahres ähnelte eher einem Albtraum. Eine Flüchtlingskrise nicht absehbaren Ausmaßes macht auch um die Oberlausitz keinen Bogen. Zum Beispiel Bischofswerda:
Von einem Tag zu anderen wird Mitte September eine leere Werkhalle zur Flüchtlingsunterkunft. Sie soll einmal eintausend Asylsuchende aufnehmen können. Selbst der um Sachlichkeit bemühte neue Oberbürgermeister Holm Große spricht von einer Nacht- und-Nebel-Aktion der zuständigen Landesdirektion. Obwohl es im Rathaus eine Bürgerversammlung gibt, um die Situation zu (er)klären, kommt es vor Ort zu Protesten von Einwohnern. Üble Beschimpfungen werden laut, auch einige Bierflaschen fliegen bei der Ankunft der ersten Flüchtlingsbusse. Polizeipräsenz macht dem bald ein Ende. Die kleine Stadt aber findet sich bundesweit in dicken Negativ-Schlagzeilen wieder. Tagelang! Dass an jenem Wochenende in Werthheim in Baden-Württemberg eine als Flüchtlingsunterkunft vorgesehene Sporthalle brannte, war keine so großen Artikel wert. Zweierlei Maß in Deutschland-einig-Vaterland und wahrlich keine Ausnahme. Die Sicherheitszone in Bischofswerda ist übrigens längst aufgehoben. Es gab keine Zwischenfällen mehr. Die Probleme sind allerdings nicht von der Straße; wie anderswo auch nehmen sie eher zu. Vor allem dort, wo die Bürger in deren Lösung nicht einbezogen werden.
„Viele Orte sind bereits überfordert“, das räumte inzwischen sogar Vizekanzler Sigmar Gabriel ein. Es dürfe kein Klima geben, „in dem jeder, der sich Sorgen macht, gleich als ausländerfeindlich oder rechtsradikal gilt“. Solche Worte hätte man, nicht nur vom SPD-Vorsitzenden, gern schon viel eher gelesen. Sein Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann konterte das folgenreiche „Wir schaffen das!“ der Bundeskanzlerin mit der Forderung, dass Frau Merkel die drohende Überlastung des Landes durch die Flüchtlinge anerkennen müsse. Und etwas dagegen tun.
Bundespräsident Joachim Gauck sprach beim Festakt am 3. Oktober gewohnt pastoral auch die Flüchtlingskrise an und dabei vom Zusammenwachsen dessen, was nicht zusammengehört. Das jedoch haben selbst die zueinander gehörenden Deutschen in den vergangen 25 Jahren noch längst nicht geschafft.