Nach dem Bauernopfer den Bock zum Gärtner machen?

War ja klar! Statt „Merkel muss weg“ gibt es nun ein Bauernopfer namens Stanislaw Tillich. Und obwohl die CDU eine Bundestagswahl verloren hat, muss allein der sächsische Wahlverlierer...

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War ja klar! Statt „Merkel muss weg“ gibt es nun ein Bauernopfer namens Stanislaw Tillich. Und obwohl die CDU eine Bundestagswahl verloren hat, muss allein der sächsische Wahlverlierer personell dafür büßen. Der 58jährige Sorbe aus Panschwitz-Kuckau tritt zurück. Aber glaubt denn wirklich jemand, dass allein landespolitische Versäumnisse die Gründe dafür waren, dass mit der AfD eine neue, eine alternative Partei im Freistaat den in die Jahre gekommenen politischen Platzhirsch verdrängen konnte?

Unter den aktuellen Kommentaren zum Tillich-Rücktritt fallen zwei besonders auf. So macht die SPD allein die Politik der CDU für den „massiven Vertrauensverlust“ (Martin Dulig in der „SZ“ vom 19. Oktober auf Seite 1) bei den Wählern verantwortlich. Als ob die Sozialdemokraten nicht ebenfalls in der Regierung sitzen würden. Das ist in Sachsen so und so war es in Berlin. Bei der Linken steht hinter dem Vorwurf, Tillich würde sich der Verantwortung entziehen (Rico Gebhardt, ebenfalls in der „SZ“ vom Donnerstag), vielleicht sogar ein leises Bedauern. Irgendwie war er doch ein bequemer Kontrahent. Oder aber es ist die Angst, es könnten jetzt noch mehr Menschen der Gedanke kommen, dass AfD wählen tatsächlich wirkt.

In einem eventuell gezinkten Spiel wurde der Schwarze Peter einem Ministerpräsidenten untergejubelt, der von ostdeutscher Herkunft, recht bodenständig und Angehöriger einer nationalen Minderheit ist. Das allein ist selbst in der Summe natürlich kein Verdienst. Viele werden jetzt sagen, dass mit Tillich schon längst kein (Frei)Staat mehr zu machen war. Die fetten Jahre der fast uneingeschränkten CDU-Herrschaft hatten auch ihn, nur mal rein rein bildlich gesprochen!, Fett ansetzen lassen. Es entstand der Eindruck, dass er seine Leute regieren ließ, statt es selbst energisch zu tun. Dass ihn allerdings der hierzulande einst so verehrte Ex-Ministerpräsident Biedenkopf kürzlich öffentlich wie einen Schuljungen abgekanzelt hat – Zitat: „Er hat es nicht gelernt.“   – nahmen nicht wenige Sachsen ihrem einstigen „König Kurt“ übel. Denn da war sie wieder, diese westdeutsche Überheblichkeit. Alter schützt vor Torheit nicht. Und auch nicht davor, in seiner Einschätzung ungerecht zu sein. Zumal man sich inzwischen fragen kann, warum überhaupt zu diesem Zeitpunkt dieses Interview geführt wurde. Den Fakt ist doch: Selbst unter der Ägide von Tillich hat Sachsen einiges erreicht und steht im Vergleich mit anderen Bundesländern oft nicht schlecht da.

Nun wird niemand leugnen wollen, dass auch im Freistaat Sachsen manches im Argen liegt. Ein Beispiel dafür ist die Bildung. Selbst eine derart desolate Schulpolitik mit zu wenig Lehrern für zu viele Schüler, mit Kultusministern, die wegen fehlender Akzeptanz im Kabinett das Handtuch werfen (wie Roland Wöller), oder aus rein persönlichen Gründen der Verantwortung entfliehen (wie Brunhild Kurth), reichte für bundesweit überdurchschnittliche Erfolge. So erst kürzlich auch wieder bei den Viertklässlern. In den Fächern Lesen und Mathematik belegen sie in Deutschland gemeinsam mit den Mädchen und Jungen aus Bayern die ersten Plätze. Alle Resultate gibt es u.a. bei Spiegel online. (Kleiner Tipp: Es lohnt sich durchaus der Vergleich von den erzielten Resultaten der Grundschüler und den parteipolitischen Präferenzen der jeweiligen Bundesländer.)

Dass, um beim Beispiel Bildung zu bleiben, unter den vielen Blinden der Freistaat Sachsen quasi als Einäugiger der sprichwörtliche König ist, ist allerdings nur ein schwacher Trost. Und ganz bestimmt nicht gleich ein Ruhmesblatt für die Regierung Tillich. Die hat noch viele andere offene Baustellen wie etwa die Sorge für Ruhe und Ordnung im Land, für die Sicherheit in den Grenzregionen und die anstehende Digitalisierung, um hier ein derzeit von den Politikern bis zum Erbrechen benutztes aktuelles Schlagwort zu benutzen. Aber ist es nicht traurig, wenn es noch immer sächsische Landstriche ohne stabiles und schnelles Internet gibt?

Stanislaw Tillich hat bei der Ankündigung seines Rücktrittes, der voraussichtlich im Dezember erfolgen soll, selbst auch eine Bilanz gezogen und ein Statement abgegeben. Manch einer wird sagen, dass es ihn ehrt, wie er die Schuld für etwas auf sich nimmt, was er nicht allein verbockt hat. Anderen wird es auffallen, dass dieses Statement wieder so furchtbar gefällig daher kommt, wie der Ministerpräsident auch regiert hat. Selbst jetzt, den Abschied zumindest von der großen Politik vor Augen, schafft es Tillich nicht, mit deutlichen Worten Ross und Reiter zu nennen, welche die Politik-Karre in den Dreck gefahren haben. Vielleicht ist der Mann einfach zu nett. Oder aber Biederkopf liegt vielleicht doch nicht so falsch mit seiner Einschätzung: „Er lebt ein bisschen in einer anderen Welt, ist primär interessiert an Kompromissen.“

Denn wie nur kommt Tillich auf die Idee, bei diesen (vor)letzten Worten zu seinem Rücktritt jetzt bereits einen Nachfolger vorzuschlagen? Zumindest hätte man den Anschein erwecken können, dass sich die CDU darüber erst einmal Gedanken machen muss. Der Abgesang ihres Chefs dürfte schließlich auch die Partei überrascht haben. Zumindest wird es öffentlich so dargestellt. Der Lacher an sich ist aber der Wunschkandidat von Tillich für die Parteiführung und das Amt des Ministerpräsidenten: Michael Kretschmer. Der CDU-Generalsekretär ist bekanntlich bei der Bundestagswahl als Direktkandidat im Wahlkreis Görlitz am Herausforderer von der AfD gescheitert und das so sensationell, das er nicht mal durch einen Listenplatz abgesichert war. Nun also Residenzstadt Dresden statt Bundestag Berlin? Außerdem ist es schon etwas merkwürdig: Der Ministerpräsident zieht die Konsequenzen aus der Wahlniederlage und tritt zurück; der doch für den Wahlkampf hauptverantwortliche Generalsekretär des CDU-Landesverbandes soll dagegen Karriere machen. Der sprichwörtliche Bock würde zum Gärtner, das wäre absurd!

Andererseits: Schauen wir doch mal nach Berlin. Dort wird jetzt um ein Regierungsbündnis von CDU/CSU, FDP und Grüne gefeilscht. Von den Medien ist diese politische Dreifaltigkeit schon jetzt als sakrosankt abgesegnet. Welch‘ heilige Einfalt, möchte man da ausrufen. Wie soll dort zusammen wachsen, was nicht zusammen gehört? Wahrscheinlich nur um den Preis der Aufgabe von eigentlich grundsätzlichen inhaltlichen Positionen. Und wer auf Regierungsposten scharf ist, wird dafür fast jeden Preis bezahlen. Wen stört es da, dass diese Parteien, dass die CDU, die FDP und die Grünen gerade erst bei der Landtagswahl in Niedersachsen von den Wählern ordentlich abgestraft wurden.

Ja, die Berliner Politik juckt wenig, wie in den Bundesländern gewählt wird. Es sei denn, es geht um Sachsen. Dann sind selbst die CDUler als Buhmann immer wieder gut. Aber die Menschen im Freistaat sind es inzwischen gewohnt, kollektiv an den Pranger gestellt zu werden. Nicht zuletzt deshalb wählen sie, wie sie eben wählen. Das ist wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Hans-Georg Prause
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