Der Schornsteinfeger, der die Festung Königstein bezwang

Im März 2018 wird sich zum 170. Mal der Tag jähren, an dem die einzige „Eroberung“ der Festung Königstein stattfand. Diese tollkühne Tat gelang dem Schornsteinfeger Sebastian Abratzky...

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Im März 2018 wird sich zum 170. Mal der Tag jähren, an dem die einzige „Eroberung“ der Festung Königstein stattfand. Diese tollkühne Tat gelang dem Schornsteinfeger Sebastian Abratzky aus Mahlis bei Oschatz.

Was genau an jenem 19. März 1848 vor sich ging und wie Abratzky auf das Festungsplateau gelangte, wird wohl nie vollständig aufgeklärt werden. Zum einen deckten die sächsischen Militärbehörden aus verständlichen Gründen den Mantel des Schweigens über diese Affäre, aber auch Abratzky selbst trug viel zur Verschleierung des Ganzen bei. Seine eigene  Darstellung über „Die einzige Ersteigung der Festung Königstein durch Sebastian Abratzky“, die erstmals 1859 veröffentlicht wurde, verwirrt die Gemüter bis heute. Dabei war es doch mehr oder weniger Zufall, was sich an jenem schönen Sonntag im März 1848 zugetragen hatte.

Abratzky war, nachdem er eine Lehre zum Schornsteinfeger abgeschlossen hatte, auf Wanderschaft gegangen und nach Königstein an der Elbe gelangt. Dort wollte er sich beim Bau der sächsisch-böh-mischen Eisenbahn verdingen. Das schöne Frühlingswetter am Tag nach seiner Ankunft, einem freien Sonntag, nutzte er deshalb für einen Aufstieg zur Festung Königstein. Aber Einlass wurde ihm nicht gewährt, da er keinen einzigen Taler in der Tasche hatte. So machte er sich auf, die Festung auf dem Patrouillenweg wenigstens zu umwandern. An der Ostseite des Felsmassivs fand er eine Spalte, die ihn verführte, ohne Seil darin den Aufstieg zu wagen. Das Kaminklettern war für ihn als Schornsteinfeger nicht außergewöhnlich. Es gelang ihm auch, die 34 m hohe Felswand bis zur Brustwehr zu überwinden und so das Plateau zu erklimmen. Von völlig überraschten Soldaten wurde Abratzky umgehend arretiert und in die sogenannte Mohrenkammer der alten Kaserne gesperrt. Während der Haft musste er dem Festungskommandanten genau jene Stelle angeben, an der sein Aufstieg begonnen hatte. Der Maurermeister der Festung sollte nun dafür sorgen, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholen konnte.  Nach fast zwei Wochen der Ungewissheit für den „Eroberer“ des Königsteins fand endlich die Verhandlung vor dem Festungstribunal statt, an deren Ende Abratzy zu 12 Tagen Haft verurteilt wurde. Die Untersuchungshaft rechnete man ihm an und er musste die Festung sofort nach dem Urteilsspruch verlassen, um sich über Dresden wieder in seine Heimat nach Mahlis zurück zu begeben. Ihm wurde auferlegt, über das Vorgefallene strengstes Stillschweigen zu wahren. Wir wissen heute, dass er daran nicht gehalten hat…

Hier wollen wir es deshalb auch bei der uneingeschränkten Anerkennung der bergsteigerischen Leistung Sebastian Abratzkys belassen. Der weitere Lebensweg des Schornsteinfegers aus Mahlis bot in den darauffolgenden Jahren ohnehin wenig Bemerkenswertes und verlor sich in den Turbulenzen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Kurz nach seinem „Aufenthalt“ auf dem Königstein leistete Abratzky seinen Militärdienst  und sorgte in den darauf folgenden Jahren für zahlreiche Einträge in Polizeiakten und sogar mehrfache Aufent-halte in Strafvollzugseinrichtungen. Sein Leben endete am 26. Januar 1897 in einer Dresdener Schutzhaftanstalt. Er wurde auf dem Johannisfriedhof in Dresden-Tolkewitz beigesetzt. Abratzky hatte vier Töchter und einen Sohn Max.

Jenem Sohn Max  haben wir es auch zu verdanken,  dass Ende 1928, also mehr als 80 Jahre nach der Ersteigung des Königsteins durch seinen Vater, der Name Abratzky wieder in Dokumenten erscheint und wieder im Zusammenhang mit der Festung Königstein. Im Sommer 1928 hatte Max Abratzky beantragt, eine kleine Tafel auf eigene Kosten am Wallgang der Festung anbringen zu lassen, etwa an jener Stelle, an der sein Vater seinerzeit das Plateau erklommen hatte.

Angebracht wurde die kleine Tafel, deren Größe die zuständigen Militärbehörden auf 16 x 20 cm beschränkt hatten, aber nie. Es entwickelte sich vielmehr ein Streit darum, den Sohn und Enkel Sebastian Abratzkys austrugen.

Als ob es  die Reichswehrdienststellen schon geahnt hätten, kam es zu keiner Einigung zwischen den Beiden. Sie boten mit ihren Streitigkeiten vielmehr den Vorwand dafür, das Anbringen einer Ge-denktafel auf der Festung endgültig abzulehnen.  Damit sollte auch weiterhin nichts an die Tat Abratzkys erinnern. Das war zumindest nach dem Wunsch der Militärs so.

Es erscheint aus heutiger Sicht nur sehr schwer verständlich, dass  man noch in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Ersteigung der Festung Königstein durch Sebastian Abratzky den Besuchern des Königsteins verschweigen wollte.

Bereits Anfang des Jahres 1926 hatte das Reichswehrministerium in einem geheimen Schreiben , nach Überprüfung eines Lehrheftes für die Gästeführer des Königsteins, formuliert : „ Die Heeres-leitung hält es für nötig, daß aus dem Wortlaut der Erklärungen, die den Fremden gegeben werden, alle Angaben entfernt werden, die auf die Besteigbarkeit des Felshanges an bestimmten Stellen hinweisen.“ *

Nach Beendigung der „Affäre  Gedenktafel“ kam dann auch das für die Festung Königstein zuständige Wehrkreiskommando IV in einem Schreiben vom Januar 1929 zu einer deutlichen  Aussage:  „ …zu bemerken ist hierzu noch, daß die Kletterei des Sebastian  Abratzky bei den Führungen nicht erwähnt wird …“. *

Die im Archiv erhalten gebliebenen und schon etwas vergilbten Dokumente  aus den  Jahren 1928 und 1929 zeigen uns: Die Ersteigung der Festung Königstein im Jahre 1848 hatte auch viele Jahr-zehnte später an Brisanz nichts eingebüßt und blieb ein mit viel Sensibilität behandeltes Reizthema des Militärs. Auch in den Friedensjahren zwischen den Weltkriegen hatte sich offenbart, dass die Festung Königstein, trotz ziviler Verwaltung, ein Objekt von hohem militärischem Interesse bleiben sollte und zwar ein unbezwingbares!

Zehn Jahre später erfolgte die Bestätigung dafür: Die Festung Königstein ging als Offiziersgefangenenlager Oflag IV B in die Geschichte des II. Weltkrieges ein.

Hans-Joachim Rühle

* Schriftverkehr 1928/1929 aus Nachlass Dr. Fränzel, Archiv Festung Königstein

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