Also eine Erfolgsmeldung sieht anders aus. Zwar steigt laut SPIEGEL ONLINE das Vertrauen der Bürger in die Berichterstattung der Medien wieder, doch die Zahlen sind eigentlich ernüchternd. Laut einer Langzeitstudie vertrauen 42 Prozent der Deutschen den „etablierten Medien in wichtigen Fragen“. In diesen Satz hätte ganz gut ein „nur“ gepasst, aber man ist bescheiden geworden. Ein „grundsätzliches Misstrauen“ äußerten 17 Prozent und 41 Prozent nehmen „eine Zwischenposition“ ein – was immer das ist. Daraus ziehen die Autoren der Studie den etwas pauschalisierenden Schluss, dass die Mehrheit der Bevölkerung den Medien, gemeint sind der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk und die Tagespresse, mehr vertrauen, als es der allgemeine Eindruck vermittle.
Über eine derart optimistische Auslegung der Zahlen und Fakten ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist man an der Uni Mainz wohl selbst erschrocken. Der folgende Absatz schürft etwas tiefer: „Trotz einer stabilen Vertrauensbasis setzt sich auch ein Trend der Entfremdung zwischen Medien und Nutzern fort. 36 Prozent der Befragten gaben an, gesellschaftliche Zustände in ihrem Umfeld ganz anders wahrzunehmen, als von Medien dargestellt. 24 Prozent sagten, die Themen, die ihnen wichtig seien, würden von Medienangeboten nicht dargestellt.“ Ja, es ist alles etwas widersprüchlich: Das Vertrauen in die Medien steigt also wieder, während es andererseits eine Entfremdung zwischen ihnen und den Nutzern gibt – wohlgemerkt als Trend, also nachhaltig, um hier ein Modewort zu gebrauchen.
Ein Fragezeichen steht ebenso hinter der Feststellung, dass nur zehn Prozent der Leser „Online-Angebote im Allgemeinen“ für vertrauenswürdig halten. Die eingangs genannten Medien, zu denen das Vertrauen laut Studie doch wieder wächst (42 Prozent), können nicht gemeint sein. Dabei sind sie ohne Ausnahme im Internet stark präsent und ihre Homepages längst nicht mehr nur ein Sidekick für die gedruckten Zeitungen oder ausgestrahlten Sendungen. Aktuell gibt es sogar Revierkämpfe zwischen den Verlagen und den Rundfunkanstalten um die beste Platzierung im weltweiten Netz. (Es geht letztlich, wie so oft, ums liebe Geld, doch das wäre ein Thema für sich.) Kurz: Wenn diese Online-Angebote mit den „nur zehn Prozent“ nicht gemeint sein können, dann zielt dieses Verdikt wohl nicht zuletzt auf das, was allgemein „alternative Medien“ genannt wird.
„Die Menschen sehen nur das, was sie erwarten zu sehen.“ Ralph Waldo Emersons klassischer Aphorismus, der Philosoph und Schriftsteller lebte im 19. Jahrhundert, erklärt vielleicht, warum auch heute noch so viele Leute aus liebgewordener Routine kritiklos ihre Tageszeitung lesen oder allabendlich die „Tagesschau“ ansehen. Immer größer wird jedoch die Zahl derer, die sich ganz bewusst ihre Informationen im Internet auf seriösen Webseiten suchen, deren Macher gar nicht so selten durch die Schule der Öffentlich-Rechtlichen oder der Zeitungsverlage gegangen sind und dort oft sogar zu journalistischen Ehren kamen.
Worüber in den Qualitätsmedien, die per Definition eigentlich für eine hochwertige und seriöse Berichterstattung stehen sollten, ganz bewusst nur sehr verkürzt oder gleich gar nicht informiert wird, das findet der aufgeschlossene Leser im Internet, hinter dessen medialer Diskreditierung (z.B. mit dem Totschlagwort Fake News), durchaus eine gewisse Absicht vermutet werden darf. Wofür speziell die Sparte Social Media allerdings allzu oft perfekte Steilvorlagen gibt. Doch um diese geht es hier nicht, sondern um ernstzunehmende alternative Angebote mit kritischen Berichten, unangepasster Meinung und pointierter Kommentierung. Pars pro toto, als Teil für das Ganze sollen hier die „Nachdenkseiten“ genannt werden. Immer wieder gelingt es diesen, auf eigentlich unglaubliche Vorgänge wie den folgenden aufmerksam zu machen:
Mit dem aktuellen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD – darin nachzulesen auf Seite 93 – wird den Zeitungsverlegern zugestanden, fünf Jahre lang nur 5 statt 15 Prozent des von ihnen zu entrichtenden Rentenbeitrages für ihre Minijob-Zusteller abzuführen. Das ist unter dem Strich ein Geschenk von vielen, vielen Millionen Euro an private Großunternehmen, die trotz teils massiver Auflageverluste noch immer gutes Geld verdienen. Dem Wortlaut der entsprechenden Passage ist nicht zu entnehmen, ob es den zu den Geringverdienern zählenden Zustellern dadurch sogar an die magere Altersrente geht. Seitens der Politik gibt es bislang keine konkrete Stellungnahme dazu. Man war wohl überrascht, dass dieses Thema überhaupt öffentlich zur Sprache kommt. Dem „Stern“-Journalisten Hans-Ulrich Jörges und den „Nachdenkseiten“ sei dank. Das ist Journalismus, wie man ihn sich wünscht. Mainstream und alternative Medien arbeiten zusammen, nicht gegeneinander.
Einiges spricht dafür, dass also mal wieder die Steuerzahler die Zeche der Zeitungsverleger bezahlen. Wieder mal? Ja, denn bereits vor vier Jahren, bei der Einführung des Mindestlohnes, gab es für sie eine lukrative Ausnahmeregelung. Auch über diese wurde kaum etwas geschrieben. Doch traurige Tatsache ist: Den am schlechtesten bezahlten Mitarbeitern der Zeitungsbranche, die in aller Herrgottsfrühe bei Wind und Wetter ihren Job machen, musste nicht der ansonsten gesetzlich vorgeschriebene Lohn gezahlt werden. Öffentlich angeprangert wurde das nicht. Wie auch, wenn man selbst die veröffentlichte Meinung verkörpert. Wahrscheinlich gab es damals wie heute die gleiche Begründung für dieses enorme finanzielle Entgegenkommen, nämlich „die Sicherung der bundesweiten Versorgung mit Presseerzeugnissen für alle Haushalte“.
Es sind wieder dieselben Parteien, die letztlich mit viel Geld (das nicht das ihre ist) um das Wohlverhalten der Medienbranche werben. Warum sonst gab es in den maßgeblichen Zeitungen nur selten eine kritische Berichterstattung über die Politik der regierenden Koalition. Merkel und Co. hatten von den Medien nichts zu befürchten. Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk stand ja schon unter Kontrolle der Verwaltungsräte, in denen die Politik einen großen Einfluss hat. So sieht es jedenfalls das Bundesverfassungsgericht. Und weil das vor vier Jahren so gut funktioniert hat, will man es nun also erneut probieren. Es gibt dabei auch noch einen Vorgang, der insbesondere die SPD nicht so gut aussehen lässt. Wen das interessiert, der klicke auf diesen Link.
Die Mär von der „vierten Gewalt“, welche die Regierenden kontrolliert und kritisiert, von der Presse als der „vierten Säule des Staates“ (so der Aufklärer Jean-Jacques Rousseau, 1712-1778) ist ein schöner Traum, der nach und nach zum Albtraum mutierte. Denn wie heißt es doch so treffend: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“.
Hans-Georg Prause