In seiner über 172jährigen Geschichte wurden, im als Eisengießerei und Maschinenbauwerkstatt gegründeten heutigen Waggonbau Bautzen, von Anfang an Schienenfahrzeuge und ganz speziell Straßenbahnen hergestellt. Nicht erst heute verkehren Bautzner Fahrzeuge auch auf den Gleisen der Dresdner Straßenbahn: Vor genau 80 Jahren wurden hier in der Stadt an der Spree die „Kleinen Hechtwagen“ für die Dresdner Verkehrsbetriebe gebaut. Sie waren lange Jahre die Paradepferde der Dresdner Straßenbahn und werden auch heute noch mit dem Unternehmen identifiziert: Wer von der Dresdner Straßenbahn spricht, meint eigentlich die Hechtwagen. Man unterscheidet dabei die Großen (vierachsigen) und Kleinen (zweiachsigen) Hechtwagen.
Das erste Baumuster des vierachsigen Fahrzeuges, später als Großer Hechtwagen bezeichnet, wurde Ende 1929 in Dresden in Betrieb genommen, die erste Serie ab 1931 ausgeliefert. Neben dem Bautzner Waggonbau war auch Christoph & Unmack in Niesky an der Produktion beteiligt. Mit dieser Entwicklung wurden zahlreiche Neuerungen im Straßenbahnbau verwirklicht: Erstmals konnte der Fahrzeugführer seine Arbeit im Sitzen ausführen, der unterflur angeordnete Zentralfahrschalter wurde mit Druckknöpfen und Pedalen fernbedient, es gab umschaltbares Fern- und Abblendlicht und keine Stufen und Unterteilungen im Innenraum mehr. Die Wagen bewährten sich außerordentlich gut und waren bei Fahrgästen und -personal sehr beliebt.
Auf weniger frequentierten Strecken waren sie jedoch nicht ausgelastet, so dass auch noch ein zweiachsiger Kleiner Hecht entwickelt wurde. Dies wiederum von Alfred Bockemühl, dem Direktor der Dresdner Straßenbahn und dem Sachsenwerk Dresden in Zusammenarbeit mit der Waggon- und Maschinenbau AG in Görlitz (WUMAG). Der Prototyp konnte im November 1934 in Betrieb genommen werden und wurde in Dresden eingehend erprobt.
Er war von Grund auf neu konstruiert, dem Großen Hechtwagen gegenüber wiederum weiterentwickelt und für Dresden sogar erstmalig als Einrichtungswagen ausgeführt. Die Serienfahrzeuge waren allerdings doch wieder Zweirichtungs- Triebwagen und der Prototyp wurde entsprechend umgebaut. Dafür wurden die lederbezogenen Stahlrohrsitze so konstruiert, dass sie je nach Fahrtrichtung umgeklappt werden konnten, der Fahrgast fuhr also trotzdem immer vorwärts! Die jeweils in Fahrtrichtung hinten nicht benötigte Fahrerkabine konnte nach innen zusammengeklappt werden, so dass zusätzliche Stehplätze entstehen.
Nach der Auslieferung der ersten Serie von 25 Wagen, die 1936 vom Waggonbau Niesky gebaut wurden, konnten die Fahrzeuge im Liniendienst eingesetzt werden. 1938/ 39 wurde eine zweite Serie von 22 Triebwagen im Waggonbau Bautzen hergestellt. Sie verkehrten sowohl als Solofahrzeuge, als auch mit Beiwagen im Zugverband. Kleine Hechtwagen wurden aber auch für Sonderaufgaben wie Stadtrundfahrten eingesetzt. Grundsätzlich waren sie lange Zeit die modernsten Fahrzeuge der Dresdner Straßenbahn, so hatten sie beispielsweise europaweit die erste Feinreglersteuerung.
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs war in Dresden zunächst kein einziges Exemplar einsatzfähig. Um Störanfälligkeiten vorzubeugen, wurde eine neue Steuerung für die Fahrzeuge entwickelt. Bis 1954 konnten 27 der formschönen Fahrzeuge aufgearbeitet werden und kreuzten wieder durch die Stadt. Sie waren bis etwa 1972 im Einsatz.
Heute ist im Straßenbahnmuseum Dresden noch ein Kleiner Hechtwagen in betriebsfähigen Zustand erhalten und wird für Sonderfahrten eingesetzt. Und was den Großen Hechtwagen noch versagt blieb, die Kleinen fanden auch eine Verbreitung außerhalb Dresdens: Wiederum der Waggonbau Niesky lieferte zwischen 1938 und 1943/44 insgesamt 18 Fahrzeuge nach Magdeburg. Sie wurden 1965 teilweise zu Einrichtungswagen umgebaut und waren bis 1973 in Betrieb. Auch in Magdeburg ist heute noch ein fahrfähiger Museumswagen vorhanden.
Christoph Pohl