Blaues Wunder heißt gar nicht Blaues Wunder

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schwillt der Ausflugsverkehr immer mehr an. Die Dampffähre zwischen den Elbdörfern Loschwitz und Blasewitz ist dem Verkehr kaum noch gewachsen. Der...

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In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schwillt der Ausflugsverkehr immer mehr an. Die Dampffähre zwischen den Elbdörfern Loschwitz und Blasewitz ist dem Verkehr kaum noch gewachsen. Der Loschwitzer Gemeindevorstand bittet die Königliche Staatsregierung in Dresden um die Genehmigung für eine Brücke. Nach der Ablehnung unterstützen 19 Gemeinden eine weitere Petition und schließlich wird ein Brückenbauverein gegründet. Weitere Argumente für den Brückenbau liegen vor, so u.a. die weite Entfernung zur nächsten Brücke. 1888 stimmen endlich Landtag und Regierung dem Brückenbau zu und 400.000 Mark werden zur Verfügung gestellt. Einwohner der wohlhabenden Gemeinden protestieren gegen das Bauwerk. Es könne den Blick auf das Elbpanorama stören.

Der Entwurf des Baumeisters Claus Köpcke (1831 – 1911), der schon bei anderen Brückenprojekten viel Anerkennung fand, enthält eine einzigartige Konstruktion – eine besondere Neuartigkeit. Die Brücke mit einer Spannweite von 280 Metern soll filigran wirken, keine Pfeiler haben und sich tief in das Elbtal einfügen. Trotzdem sind hunderte Loschwitzer, Blasewitzer und Dresdner gegen einen Brückenbau. Ein Kritiker schreibt: „Mein Loschwitz ach, mein Kleinod meiner Seelen, will nun die Großstadt deinen Zauber stehlen?“ Georg Mehrten, Rektor der Technischen Hochschule und „Brückenpapst“ genannt, forderte das Landschaftsbild zu erhalten. Letztendlich wird die Stahlkonstruktion mit rund 3000 Tonnen und einem Kostenaufwand von 2,25 Millionen Mark fertig gestellt.

Der Dresdner Anzeiger berichtete von der Belastungsprobe: “Früh 9 Uhr waren auf den 146 Meter langen freitragenden Mittelteil der Brücke angefahren: 3 Straßendampfwalzen, 3 beladene Wagen, 3 gefüllte Wassersprengautos sowie Kutschen und 150 zufällig anwesende Personen.“ Zwei Tage später, am 15. Juli 1893 wurde die König – Albert – Brücke zwischen Körnerplatz und Schillerplatz eingeweiht, natürlich mit großem Empfang und vielen Gästen.

1912 erfolgte zwar die Umbenennung in Loschwitzbrücke, doch im Volksmund trug sie durch ihren Farbanstrich bereits den Namen „Blaues Wunder“. Bis zur Eingemeindung der beiden Gemeinden zu Dresden 1921 zahlten die Bürger das sogenannte Brückengeld. Der Brückenstreit indes geriet in Vergessenheit, doch der Architekt Karl Emil Scherz (1860-1945) kritisierte noch zum 40 – jährigem Jubiläum in der Elbgaupresse: „Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo das Landschaftsbild wieder hergestellt werden soll. Dieses kann nur erreicht werden, wenn in absehbarer Zeit die Brücke abgebrochen und durch eine flachbögige Eisenbetonbrücke ersetzt wird.“

1935 wurde die Brücke nicht abgerissen, sondern ein Ausbau der Fahrbahn auf zehn Meter folgte. Der Kunstflieger Ernst Udet flog beim Dresdner Flugtag unter der Brücke hindurch. Vor Kriegsende verhinderten gleich mehrere Arbeiter, so der Klempnermeister Erich Stöckel und der Telegrafenarbeiter Paul Zickler unabhängig voneinander die Sprengung durch die Wehrmacht.

Der letzte Elektrobus fuhr 1975 über die Brücke. Dabei handelte es sich um einen O – Bus, der seinen Strom aus der Oberleitung zog. Zehn Jahre später stellten die Verkehrsbetriebe die Straßenbahn ein. Die Linie 4 zuckelte nicht mehr über das Blaue Wunder in Richtung Pillnitz.

2005 scheiterte der Antrag der Linkspartei PDS, die Brücke offiziell als Blaues Wunder zu benennen. Die Fraktion hatte keinen Erfolg, der Antrag fand im Stadtrat keine Mehrheit. Doch alle Dresdner sagen Blaues Wunder zum Blauen Wunder.

Nunmehr ist bis 2030 (!) eine erneute Sanierung des Blauen Wunders vorgesehen. Sie soll unter anderem einen neuen blau – grauen Anstrich erhalten – so wie einst.

Dietmar Sehn

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