„Ist Blond die Haarfarbe der Neuen Rechten?“ Nun lachen Sie bitte nicht. Das war tatsächlich eine Schlagzeile in der Zeitung „Die WELT“ und es ist noch gar nicht so lange her. Die Redaktion stellte das sogar als Tweet in ihren Twitter-Account. Und sie musste sich u.a. fragen lassen: „Haben Sie den Verstand verloren oder haben Sie ihre antideutschen Volontäre an den Schnapsschrank gelassen?“ Dem Mann, der das so sarkastisch fragte, flogen die Like-Herzen nur so zu. Trotzdem weiß natürlich ein jeder, dass laut politischer Farbenlehre die Rechten unbedingt auf Braun stehen; die Vorsitzende der Partei Die Linke trägt schließlich auch eine rotgefärbte Frisur. Und Claudia Roth verzichtet bestimmt nur deshalb auf grüne Haare, weil ihr die auch nicht stehen würden.
Ja, das alles ist schon absurd. Man soll nichts und niemanden nur nach bloßen Äußerlichkeiten beurteilen. Doch die oben zitierte „WELT“ ist keine Ausnahme, leider. Die „Sächsische Zeitung“ schrieb jüngst über das Gastspiel einer Theatertruppe auf der Waldbühne in Bischofswerda. Aufgeführt wurde Friedrich Schillers klassischer „Wilhelm Tell“. Doch darum ging es in dem Artikel kaum. Gleich gar nicht darum, dass diese beiden Vorstellungen von 800 Zuschauern besucht wurden, die mit der werktreuen Inszenierung trotz der rund vierstündigen Länge sehr zufrieden waren. Denn was musste der Zeitungsleser stattdessen im Nachhinein erfahren: „Jetzt kommt heraus: Viele waren Rechtsextreme“. Wer also den Beitrag „Wie man Nazis erkennt“ von Spiegel Online nicht gelesen hat, der kann sich nun bei der „SZ“ schlau machen.
Unter der Überschrift „Braunes Gastspiel auf der Waldbühne“ wird tatsächlich auf einige Personen – wohlbemerkt unter mehreren hundert Besuchern – verwiesen, die einen rechtsextremistischen Hintergrund haben sollen. Namentlich zum Beispiel Wolfram Nahrath, der letzte Chef der allerdings bereits 1994 verbotenen Wiking-Jugend. Laut Wikipedia soll er u.a. auch mal der NPD angehört haben. Doch der Mann ist jetzt Rechtsanwalt und Strafverteidiger mit Kanzlei in Berlin; bei seiner politischen Vorgeschichte dürfte es nicht überraschen, aus welchen Kreisen einige seiner Mandanten kommen. Im NSU-Prozess war er vom Gericht aber als Pflichtverteidiger einem der Angeklagten zugeordnet worden. Der Rechtsstaat kann also mit ihm und seiner Arbeit leben. Keiner muss deshalb natürlich des Herrn Nahrath wie auch immer gemutmaßte Überzeugungen teilen. Und zu pathetisch wäre es wohl, ausgerechnet an dieser Stelle an die Forderung des Marquise von Posa aus Schillers „Don Carlos“ gegenüber seinem Herrn und König Philipp II. zu erinnern: „Geben Sie Gedankenfreiheit!“
Die Kronzeugin der „SZ“ für solche Details ist die darauf spezialisierte Journalistin Andrea Röpke. Vielleicht hat sie dem Verfasser des Zeitungsartikels aber einiges mehr geliefert, als nur Auskünfte zu dieser Szene und dazu gleich auch ein passendes Foto. (War von der Lokalredaktion überhaupt jemand selbst vor Ort?) Denn auf „blick nach rechts“, das ist die Online-Plattform des Berliner SPD-Verlages „vorwärts“, veröffentlichte sie selbst am gleichen Tag ihren Beitrag „Völkisches Schauspiel“ über das Laienspiel-Wochenende in Schiebock. Hier wie da gab sie die Insiderin und tat kund, was ihr bei den Anreisenden „sofort ins Auge fiel“: „Frauen und Mädchen mit Zöpfen und langen Röcken“, „Männer zünftig gekleidet liefen umher …“ Man baute Zelte „für die vielen Kinder auf“. Diese entlarvenden Merkmale hatte Frau Röpke für die Lokalzeitung parat; auf der Homepage von „bnr“ ergänzte sie noch: „Frauen herzten sich, Männer boten einander die Hand.“ Na nun wissen wir, woran man Rechtsextreme erkennt.
Solch hausgemachtes Schubladendenken ist wahrlich nicht neu, nur waren früher die Redaktionen etwas kritischer im Umgang mit ihren Quellen. So titelte der „Stern“ im Frühherbst 2016 (mit einiger Verspätung): „Apothekenblatt warnt vor blonden Mädchen mit Röcken“ . In diesem Beitrag strafte die Illustrierte eine inhaltlich teils abstruse Story der Ausgabe Februar 2016 von „Baby und Familie“ mit deutlichen Worten ab: „So schlimm wie Rassisten, die sich fremdenfeindlich verhalten und äußern, sind auch alle anderen, die Menschen pauschal verurteilen.“ Um hier kurz ins Detail zu gehen: Diese in Apotheken und ähnlichen Einrichtungen kostenlos erhältliche und durchaus auflagenstarke Kundenzeitschrift hatte über „Gefahr von rechts“ geschrieben. Dabei ging es – um den Kindergartenalltag! Da wurden Ratschläge wie diese gegeben: „Kinder von extrem rechten Eltern sind meist von klein auf daran gewöhnt, ihr Familienleben und ihren Alltag geheim zu halten.“ (Heißt: Sie lassen sich also nicht aushorchen.) „Gehören die Eltern bestimmten rechten Organisationen an, fallen deren Töchter zum Beispiel durch akkurat geflochtene Zöpfe und lange Röcke auf. Auch die Söhne sehen oft sehr traditionell aus …“ (Kommt das einem nicht bekannt vor?) „Kinder rechter Eltern … fallen manchmal erst nach längerer Zeit auf, zum Beispiel weil sie still oder sehr gehorsam sind.“ (Das war übrigens ein Tipp einer ungenannt bleibenden „Leiterin einer Fachstelle Gender und Rechtsextremismus“ der Amadeu Antonio Stiftung.)
Doch zurück nach Bischofswerda auf die Waldbühne, also zu den „Braunen“ oder auch „Völkischen“, zu jenen Frauen mit den Zöpfen, vielleicht sogar blonden, und Röcken, zudem noch langen. Und zu den Männern, die zünftig, also wohl etwas altmodisch (im Auge der Betrachterin) gekleidet waren. Man(n) gab sich dort bei der Begrüßung sogar die Hand – nein, das passt so ganz und gar nicht in unsere Zeit, wo eher die Ellenbogen gefragt sind. Von „völkischen Familienverbänden“ ist zu lesen, von „Sippen“, die gut vernetzt sind. Ach so, und „öffentlichkeitsscheu“ ist die Theatertruppe laut Andrea Röpke auch noch. Deshalb spielen die Laiendarsteller an zwei Abenden vor großem Publikum in öffentlichen Vorstellungen. Sie machen dabei allerdings von sich selbst kein großes Aufheben. Was sie bei all jenen zusätzlich verdächtig macht, die selbst als inquisitorische Eiferer von ihrer schizophrenen Selbstdarstellung nicht lassen können.
Bei aller Bescheidenheit der Darsteller sei hier betont, dass beide Vorstellungen dem Vernehmen nach sehr gut beim Publikum ankamen. Die Besucher waren teilweise von weit her für diese Aufführungen angereist. So paradox es sich lesen mag: Aber in der Werktreue dieser Inszenierung des „Wilhelm Tell“ lag etwas Innovatives. Vielleicht sind nicht wenige Leute es leid, die deutschen Klassiker entweder nur noch selten oder nur mit zeitgenössischen „Aktualisierungen“ auf einer Bühne erleben zu können.
Deshalb sparten die Zuschauer auf der Waldbühne nicht mit Beifall. Das hatte sich auch bis zum parteilosen Oberbürgermeister Holm Große herumgesprochen, der sich seinerseits nach den laut gewordenen Extremismus-Vorwürfen dazu Meinungen einholte. „Das Stück wurde im Originaltext aufgeführt, es gab keinerlei politische Äußerungen. Dies bestätigten mir engagierte Stadträte unserer demokratischen Parteien, von Die Linke bis CDU, und weitere dort anwesende aktive Mitgestalter unserer Stadtgesellschaft.“ So zitierte ihn die „SZ“ und war eventuell nicht ganz zufrieden mit diesem Resümee. Für den Schluss des Artikels über das „Braune Gastspiel“ wurde deshalb der große Unbekannte bemüht. Demnach sprach „ein Zuschauer“ von einem „politisch hochexplosiven Mix“ auf der Bühne. Zu so viel Einfalt passt - etwas abgewandelt – Schillers zum geflügelten Wort gewordene Verszeile aus dem „Ring des Polykrates“: „Hier wendet sich der Leser mit Grausen.“ Weil er nicht für dumm verkauft werden möchte.
Ähnlich dürfte es die Redaktion der „Sächsischen Zeitung“ – dazu vielleicht angeregt von einigen Lesermeinungen – am Tag darauf beim Blick ins eigene Blatt empfunden haben. Also wurde ein weiterer Beitrag nachgeschoben, bei dem man sich selbst nicht schonte. Das ist ehrenwert. Schließlich musste man sich z.B. von Thomas Köckritz, Vorsitzender der Stadtratsfraktion der Partei Die Linke, kurz und bündig sagen lassen: „Es gab keine politischen Äußerungen. Von Rechtsextremismus war am Freitagabend nichts zu spüren. Die Theateraufführung war in Ordnung.“ Andere Leser fragten, ob man nun Schiller und den „Tell“ der rechten Szene zuordnen bzw. sich bei einem Besuch des „Freischütz“ von Carl Maria von Weber (also der ersten deutschen Nationaloper) beim Sitznachbarn vorher nach dessen Gesinnung erkundigen müsse. Tja, wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen. Oder um mit Wilhelm Tell zu sprechen: „Dem Schwachen ist sein Stachel auch gegeben.“
Hans-Georg Prause