Wen der MP anruft. Und wen nicht …

Er hat ihr zugehört. Er, Michael Kretschmer, der sächsische Ministerpräsident. Er wollte wissen, was in Bautzen los ist. Von ihr, Annalena Schmidt, der bloggenden Botschafterin für Demokratie und...

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Er hat ihr zugehört. Er, Michael Kretschmer, der sächsische Ministerpräsident. Er wollte wissen, was in Bautzen los ist. Von ihr, Annalena Schmidt, der bloggenden Botschafterin für Demokratie und Toleranz. Und er hat nicht einfach nur mal so angerufen, sondern (Zitat A. Schmidt): „Er bat um dieses Gespräch.“ Nun hofft sie, „dass er auch etwas aus dem Gespräch mitnimmt“. Also an mangelndem Selbstbewusstsein leidet diese junge Frau ganz sicher nicht. Manch einer mag solche Äußerungen sogar überheblich nennen.

Das hat er nicht verdient, dieser Mann, der den Freistaat Sachsen regiert. Er muss sich aber fragen lassen: Warum ruft er nicht einen Waggonbauer von Bombardier an oder eine Frau, die tagtäglich an der Kasse einer Kaufhalle sitzt? Warum erkundigt er sich nicht bei einer Pflegekraft im Altersheim danach „was in Bautzen los ist“. Oder besser noch, er fragt, wie es ihr ganz persönlich geht, was sie verdient, wie schwer ihre Arbeit ist und wie viel (oder wenig) Rente sie dafür mal bekommen wird.

Nun ist bekannt, dass Michael Kretschmer sich nicht dafür zu schade ist, das Gespräch mit den „einfachen Leuten“ zu suchen. Er möchte auch diese für seine Politik gewinnen. Da passt es nicht ins Bild, dass er quasi als Bittsteller bei einer Annalena Schmidt vorstellig geworden sein soll. Doch so steht‘s geschrieben in deren Twitter-Account: „Er bat um dieses Gespräch.“ Die grüne Entourage spendet ihr dafür viel Beifall. Einer der selbstgefälligen Kommentare: „Bissl spät. Aber besser spät als nie.“ Wenigstens etwas Respekt vor dem Amt? Fehlanzeige!

Obwohl parteilos, belegt Frau Schmidt immerhin Platz zwei auf der Bautzener Wahlliste der Grünen. Was kaum mit umweltpolitischer Kompetenz zu tun haben dürfte. Manch Christdemokrat vor Ort wird sich deshalb fragen: War der CDU-Landesvorsitzende Michael Kretschmer bei diesem Telefonat nicht falsch verbunden? Schließlich wird bereits Ende Mai in den Kommunen gewählt, Anfang September dann im Bundesland.

Solche Dinge passieren eben? Dann muss akzeptiert werden, was unlängst beim Bautzener Bürgerforum zu erleben war. Wer davon überrascht wurde, sollte mal seine Komfortzone verlassen. Es wird nicht länger stillschweigend hingenommen, dass Politik über die Köpfe jener Menschen hinweg gemacht wird, die es leid sind, diverse Schattierungen der politischen Farbskala zu diskutieren. Während manche Leute damit sogar ihr Geld verdienen, haben viele andere genug damit zu tun, mit dem alltäglichen Leben klarzukommen. Was soll es denn bringen, auf dem Weihnachtsmarkt schwarz-weiß-rote Bommelmützen zu zählen und dann verschwörerisch über die Gedanken in den Köpfen darunter zu spekulieren? Wohlgemerkt, das ist kein erfundenes Beispiel. 

Über die Veranstaltung vom 8. Februar in der Maria-und-Martha-Kirche ist viel gesagt und noch mehr geschrieben worden. Den Auftakt machte schon frühmorgens nach der bis 22 Uhr andauernden Diskussion die überregionale „Süddeutsche Zeitung“, was erstaunlich war. Ein Schelm, wer nun denkt, damit sollte eine gewisse Richtung für die Berichterstattung vorgegeben werden. Nein, da war bestimmt jemand nur sehr, sehr fleißig. Die lokale „Sächsischen Zeitung“ berichtete ausführlich erst nach dem Wochenende. Und das korrekt: Sachlicher Artikel, Stellungnahmen in Wort und Bild, ein wertender Kommentar des Chefs. Bericht und Meinung gut getrennt. Auch die Schlagzeile traf den Punkt: „Miteinander streiten – aber wie?“. Die zunehmend tendenziell anmutende Auswahl der Leserbriefe an den folgenden Tagen sei hier mal nicht thematisiert.

Der am 9. Februar, 6.51 Uhr online stehende Beitrag von Antonie Rietzschel in der Münchner „SZ“ war mit „Geh doch weg“ überschrieben. Die gleiche Autorin führte dann eine Woche darauf noch ein Interview mit Annalena Schmidt: „Die Menschen sprechen darüber, was schiefgelaufen ist, lautete die Überschrift. Es wurde und wird unter Teilnehmern des Bürgerforums aber auch darüber gesprochen, ob diese beiden Artikel das alles nicht etwas einseitig darstellen. Was noch im Nachhinein den unnötig skandalisierten Vorfall erklärt, warum es ein sarkastisches Gelächter gab, als im Kirchenrund die Sprache auf die vom Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit und das Fehlen einer Zensur gab. Denn auch Gesetzespapier ist geduldig. Die Praxis sieht anders aus und das Problem ist wahrlich nicht neu. Es heißt „Wenig Vertrauen in die Medien“:

„Nur 16 Prozent der Menschen im Osten trauen dem Fernsehen (Westdeutsche: 30 Prozent), nur 27 Prozent der Presse (West: 43%) und 41 Prozent dem Radio (West: 59%). Das ist ein Ergebnis einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Mediengruppe RTL zum Vertrauen der Deutschen in nicht-politische Institutionen.“ So stand es vor einem Jahr in der „Sächsischen Zeitung“. Es dürfte sich inzwischen daran nicht viel geändert haben.

Mit etwas Abstand gesehen und in der „SZ“ Bautzen abgedruckte Leserbriefe vor Augen lässt der Wahlkampf bereits schön grüßen. Da kritisiert Tobias Schilling, der Vorsitzende des CDU-Stadtverbandes, u.a. den SPD-Oberbürgermeister Alexander Ahrens für dessen Auftreten beim Bürgerforum, worauf Roland Fleischer, Fraktionsvorsitzender der SPD im Stadtrat, zeigen will, dass er nicht nur seinen roten Schal spazieren tragen kann. Es sei deplatziert, seinen Genossen derart persönlich anzugreifen. „Wer übrigens unterstellt, die Diskrepanz in der Bautzener Gesellschaft gäbe es erst, seit OB Ahrens diese Stadt führt, ist entweder naiv oder ignorant.“

Nur sollte man durchaus daran erinnern, dass sich Herr Ahrens seinerzeit als Parteiloser ins Rathaus wählen ließ, um dann nach einer Schonfrist der SPD beizutreten. Das war für das gesellschaftliche Miteinander in der Stadt ganz sicher nicht hilfreich. Wer das alles vergessen oder verdrängt hat – hier ist die damalige Erklärung von Bürger Bündnis Bautzen (BBB) hinterlegt.

Vorerst wird es kein weiteres Bürgerforum geben. Vielleicht geht es nach den Kommunalwahlen weiter. Das sagte OB Ahrens kürzlich der lokalen „Sächsischen Zeitung“. Ob es gelingen wird, ja ob es überhaupt gewollt ist, erneut hunderte Bautzener dafür auf die Beine zu bringen, muss abgewartet werden. Dabei wäre man andernorts stolz auf so ein manifestes Bekenntnis zur eigenen Stadt!

Im kommunalen Wahlkampf werden wir einigen Akteuren des Bürgerforums wieder begegnen. Annalena Schmidt kandidiert also für die Grünen und der Unternehmer Jörg Drews, in dem manche den personifizierten Gegenpol zu ihr sehen, dem Vernehmen nach für das Bürgerbündnis. Allerdings ist der Stadtrat für ideologische Schaukämpfe der denkbar falsche Platz. Wer dort etwas bewegen will, der muss Sacharbeit leisten wollen – ehrenamtlich, nach Feierabend. Da bleibt nicht mehr viel Zeit übrig für Twitter, Facebook und Co. Was aber vielleicht nur gut sein kann.

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