Dresden – die Stadt der Zigaretten, die Yenidze – ein Stück Orient

„Märchenhaft und bunt, ein Stück Orient an den Fluten der Elbe“ schrieb die Sachsenpost nach der Einweihung der Yenidze, einem 62 Meter hohen Gebäude mit einer 17 Meter...

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„Märchenhaft und bunt, ein Stück Orient an den Fluten der Elbe“ schrieb die Sachsenpost nach der Einweihung der Yenidze, einem 62 Meter hohen Gebäude mit einer 17 Meter farbigen Glaskuppel und schlanken, exotischen Minaretts. Das zehnstöckige Bauwerk mit 600 unterschiedlich gestalteten Fenstern war im Jugendstil, bestehend aus Granit und farbigen Backsteinwerk erbaut worden. Die Yendize war weltweit der erster Stahlbeton – Skelettbau.

Wie kam es zum Bau eines so eigenartigen Gebäudes? Der geschäftstüchtige Tabak- und Zigarettenfabrikant Hugo Zietz beauftragte Anfang des 20. Jahrhunderts den jungen und zur besten Gesellschaft zählenden Architekten Martin Hammitzsch mit einem Fabrikbau. Es sollte ein besonderes Aussehen und ein auffallendes Bauwerk sein. Der Architekt schlug einen in Dresden ungewohnten Stil vor, ein moscheeartiges Gebäude.

Dem Tabakkönig gefiel die Idee von der Fabrik mit Genusskultur ausgezeichnet, sie entsprach seinen Werbezwecken – damit war gut Reklame zu machen. Zietz schickte den Bauherrn zur Studienreise in den Orient, um weitere Anregungen zu holen. Und so sah Hammitzsch als Vorbild die Kuppel der Grab – und Moscheebauten bei Kairo. Pate für die Hufeisenbögen der Fenster stand die maurische Baukunst Andalusiens.

Der Architekt arbeitete mit Tricks und Raffinessen. Da man in der Barockstadt keine Schornsteine wollte, wurde der Fabrikschornstein als Minarett verkleidet, die gläserne Kuppel mit einer goldenen Krone versehen. Die technische Ausstattung mit Dampfheizung, Aufzügen und elektrischer Beleuchtung ausgestattet.

1912 begann die Zigarettenproduktion in der Yenidze und Dresden baute seine Position in der Zigarettenherstellung aus. Jeder vierte sogenannte Sargnagel in Deutschland kam aus der Elbestadt, es gab hier 70 derartige Fabriken. Andere Betriebe wurden nun vereinigt. Dresden trug unter anderen den Beinamen: Stadt der Zigaretten.

Im märchenhaften Bauwerk, eines der ersten Industriegebäude Deutschlands, waren dann zeitweise bis zu 2000 Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigt. Die Herstellung der Zigaretten, unter anderem die Sorten Salem und Ramses, erfolgte auf hohem technischem Niveau. Aus einer Maschine rollten in einer Stunde 70 000 Glimmstängel. Von der Straße aus konnte man in die unteren Produktionsräume einsehen und die Zigarettenproduktion beobachten, hier besonders das Aufkleben der Etiketten und Banderolen für den Versand. Während im Untergeschoss der Rohtabak lagerte, wurden in der zweiten und dritten Etage die höherwertigen Zigaretten manuell gedreht, in der vierten Etage die billigen Zigaretten maschinell hergestellt. Der Produktionsablauf war so von oben nach unten geordnet. Die Arbeitsbedingungen waren schon damals vorbildlich.Es gab getrennte Ruheräume für Frauen und Männer und auch Duschen und Wannenbäder standen zur Verfügung.

Dresdner Architekten fanden den orientalischen Bau allerdings für die Barockstadt und Königliche Residenzstadt als eine ungehörige Provokation. Man distanzierte sich von der Reklamearchitektur. Der Architekt flog wegen der fremdartigen, ungewöhnlichen Bauweise aus der Reichsarchitekturkammer. Der sächsische Berufsverband galt als sehr konservativ und setzte sich mit dem Ausschluss durch. Und für die Dresdner gehörte die Yenidze plötzlich zum Gesprächsthema Nummer eins. Die Moschee aus 1001 Nacht war sozusagen eine gläserne Manufaktur.

Der Architekt Hammitzsch wechselte nach Chemnitz, wo ihm später der Professorentitel verliehen wurde. Inzwischen hatte man sich in Elbflorenz an die fantasievolle Tabakmoschee gewöhnt und holte den Künstler zurück nach Dresden. Später wurde der Yenidze – Architekt Chef der Dresdner Bauschule, leitete die Abteilung Technik in der Sächsischen Landesregierung.

Aufsehen erregte die Heirat des inzwischen 60 jährigen Hammitzsch mit Hitlers Halbschwester Angela Raubal. Hitlers Schwager, überzeugtes NSDAP – Mitglied, machte Karriere, so als Oberst der Wehrmacht. Mit dem Einmarsch der Sowjetarmee war der Architekt Hammitzsch ins Erzgebirge geflohen und er beging zehn Tage vor seinem 67. Geburtstag, am 12. Mai 1945, Selbstmord im Forst von Oberwiesental. Seine Frau war schon vorher nach Berchtesgarden geflüchtet. Das Vermögen der Familie wurde im Zuge der Entnazifizierung eingezogen und in Volkseigentum überführt.

Die Yendize, benannt nach einer türkischen später griechischen Stadt sowie einem Anbaugebiet für Tabak, wurde im Krieg von Bomben getroffen, zwei Jahre später lief die Produktion wieder an. Zigaretten waren zu jener Zeit ein echtes Bedürfnis für viele Frauen und Männer. Es fehlten Butter, Wurst und Brot, doch in fast jedem Haushalt half ein Glimmstengel in der Not…

Zu DDR – Zeiten wurden im VEB Tabakkontor, so lautete damals der offizielle Name, unterschiedliche Tabaksorten verarbeitet, vor allem aber gelagert. Bis 1976 wurden in der „Yenidze“ Zigaretten hergestellt. Die Dresdner nannten das Gebäude Tabakmoschee.

Nach einer aufwendigen Sanierung wurde das Gebäude in den 1990er Jahren ein elegantes Geschäfts – und Bürohaus. Ganz oben, unter der farbigen Glaskuppel, befindet sich ein „Märchentheater“ – echt passend für das „Märchenschloss“. Und das Kuppelrestaurant bietet sächsische und kulinarische orientalische Speisen an. Von der Dachterrasse kann man einen fantastischen Blick auf die Dächer der Stadt werfen. Besonders beeindruckend wirkt die Yenidze nachts, wenn sie von innen angestrahlt wird.

Dietmar Sehn

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