Von Versagen und Vertrauen

„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Deshalb ist es richtig, trotz berechtigter Bedenken und begründeter Ausnahmen endlich wieder dazu überzugehen, die Kinder dort zu unterrichten, wo es...

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„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Deshalb ist es richtig, trotz berechtigter Bedenken und begründeter Ausnahmen endlich wieder dazu überzugehen, die Kinder dort zu unterrichten, wo es gut und nottut: in den Schulen. Was jüngst die Bundesfamilienministerin kundtat, ist längst bekannt, von Studien belegt und geht konform mit dem in lähmenden Corona-Zeiten noch verbliebenen gesunden Menschenverstand. Auf „Bildungs- und Bindungslücken“ bei den Kinder verwies Franziska Giffey („FAZ“, 20.02.21). Auch viele Eltern seien „am Ende“. Die Belastungsgrenze sei erreicht.

Ob solche Einsichten den erkannten Notwendigkeiten geschuldet sind oder ob sich die Ministerin mit dem SPD-Parteibuch etwas vom CDU-dominierten Regierungskurs der Koalition absetzen möchte, denn dieses Jahr sind Wahlen, ist dabei unwichtig. Auch dass in den nächsten Wochen in den Schulen noch nichts „normal“ ablaufen kann, ist klar. Weder die Grundschüler noch ihre Lehrer sind um die zusätzlichen Belastungen zu beneiden. Für die Kitas gilt das ebenso. Doch bestimmt helfen die im Frühjahr gewonnenen Erfahrungen mit der Corona-Hygiene. Frau Giffey brachte es jedenfalls so auf den Punkt: „Man kann die Kinder nicht noch viel länger zuhause lassen.“ 

Es ist doch alarmierend, wenn eine Studie wie die des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf belegt, dass nach einem Corona-Jahr bereits jedes dritte Kind (7 bis 17 Jahre alt) psychische Auffälligkeiten zeigt. Zuvor war es etwa jedes Fünfte. Laut ARD-„Tagesschau“ meinen die Mediziner damit zwar keine Störungen und Erkrankungen, aber Sorgen und Ängste, depressive Symptome und psychosomatische Folgen. Besonders betroffen seien sozial benachteiligte Familien. Wie so oft also: Wer schon arm ist, ist auch noch arm dran.

Ein schlechter Witz ist, über den man deshalb auch nicht lachen kann, dass bereits seit mehreren Monaten darüber diskutiert und gestritten wird, ob die Schließung von Schulen in diesem Ausmaß überhaupt erforderlich war. Vielleicht vertrauen Skeptiker einer Großstudie der Berliner Charité. Der Sender „ntv“ berichtete (22.01.21) online wie folgt (Zitat):

„Kinder sind keine Infektionstreiber in der Corona-Pandemie. Die Forscher haben während der zweiten Welle im November vergangenen Jahres 24 Schulklassen untersucht. Dabei wurden lediglich zehn Sars-CoV-2-Infektionen in acht Klassen entdeckt und beobachtet. Sechs Betroffene waren jeweils Einzelfälle in ihrer Klasse, in zwei Klassen fanden sich je zwei Infizierte. Sieben der zehn Infektionen verliefen asymptomatisch. Nur einige der von Corona betroffenen Schüler infizierten Angehörige ihres Haushaltes.“

Ach, und schon melden sich jene zu Wort, für die stets das Glas nicht halb voll, sondern halb leer ist. Für die das Leben immer lebensgefährlich ist und der GAU, der größte anzunehmende Unfall an der nächsten Straßenecke lauert. Denn diese wissenschaftlichen Untersuchungen wurden durchgeführt, als noch nicht verschiedene Virus-Mutationen neue große Medien-Wellen schlugen. Obwohl sich die Gelehrten bislang über manches uneins sind. Ansteckender? Gefährlicher? Helfen die vorhandenen Impfstoffe? Wir kennen das bereits: Nichts Genaues weiß man nicht.

Wovon man aber weiß, ist die nach wie vor akute Gefährdung der sogenannten vulnerablen Gruppen, also der älteren Menschen, der Pflegebedürftigen, der Schwerkranken. Bekanntlich lebte fast die Hälfte der in den vergangenen Corona-Monaten Verstorbenen in Alten- bzw. Pflegeheimen. Nicht zufällig hat man dort mit den Schutzimpfungen begonnen.

Ob das für die Betroffenen eine Besserung bringt, bleibt abzuwarten. Die Schließung von Gaststätten und Geschäften, von Kino, Theater und Konzertsaal, von Kitas und Schulen hat ihnen jedenfalls nicht geholfen. Wieso auch? Dieser drastische Aktionismus führte stattdessen zu schwer zu behebenden Kollateralschäden in der Gesellschaft. Deren Ausmaß noch nicht abzusehen ist. Schon jetzt ist man geneigt, von einem Versagen fast auf ganzer Linie zu sprechen.

Aber: „Ein Irrtum wird erst dann zum Fehler, wenn man auf ihm beharrt.“ (Ernst Jünger, 1895-1998) Eventuell ist die Wiedereröffnung der Kindergärten und Schulen ein erster Schritt zur Korrektur folgenschwerer Fehleinschätzungen. Was angenehm überrascht: Die Sachsen gehen bzw. gingen diesmal mit gutem Beispiel voran. Nicht blindlings und kopflos, sondern ermutigt von zuvor erhobenen Zahlen.

Die Testergebnisse beim Präsenzunterricht der Abschlussklassen von Gymnasien und Oberschulen im Januar wurden sogar von der „Süddeutschen Zeitung“ (19.01.21) thematisiert: „Bei freiwilligen Schnelltests an sächsischen Schulen sind 23 von 12 190 Schülern positiv auf das Coronavirus getestet worden. Das entspreche einem Anteil von 0,19 Prozent … Bei 3745 getesteten Lehrkräften war bei acht das Ergebnis positiv, ein Anteil von 0,23 Prozent.“ Keiner der Positiven war übrigens erkrankt.

Die Abschlussklassen der Berufs- und Fachschulen zogen ab 8. Februar nach. Auch dort wurde getestet. Folgende Zahlen meldete die „Sächsische Zeitung“ (17.02.21): Von 11 580 Schülern waren neun (0,07 Prozent) und nur zwei von 4343 Lehrern (0,046 Prozent) positiv.

Vor einer Woche, am 15. Februar, öffneten in Sachsen, eher als in anderen Bundesländern, dann auch Grundschulen und Kitas. Rund 94 Prozent der Mädchen und Jungen kamen zum Unterricht – obwohl die Schulbesuchspflicht vorerst ausgesetzt bleibt. Wenn das kein Vertrauensbeweis ist!   

Dagegen ist es fast schon infantil, wenn ein Gesundheitsminister klagt: „Das Virus gibt nicht einfach auf“. Mein Gott, Herr Spahn, es ist eben einfach da! Und wenn die vorher rückläufigen Fallzahlen stagnieren (von nur Infizierten, die also nicht mal krank sind!) oder wieder etwas ansteigen, dann ist das einfach so. Es wird schließlich auch mehr getestet. Weniger defensiv zu argumentieren, wäre weit besser. Die Anzahl der Corona-Toten geht überall zurück. Die Situation auf den Intensivstationen der Krankenhäuser entspannt sich. Das allein sind doch bereits gute Nachrichten.

Ja, aber leider nicht für Defätisten. Positive Motivation ist denen suspekt oder gar fremd.  Bekanntlich musste die Bundeskanzlerin ihren Widerstand gegen die Öffnung von Schulen und Kitas aufgeben. Nun ist Angela Merkel laut „WELT online“ (10.02.21) nicht mehr gewillt, politisch für die Risiken geradezustehen. Als ob jemals irgendein Politiker für irgendwas die Verantwortung übernommen hätte!

Auch wenn’s weh tut, sei ein englisches Sprichwort („Hanlon’s Razor“, in deutscher Übersetzung) angefügt: „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist.“ Jeder mache sich selbst seinen Reim darauf.   

Hans-Georg Prause

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