Kleine Anzeigen, große Aufregung

Es gehört leider zum guten Ton bzw. zum schlechten Stil vieler Medien, dass sprichwörtlich mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Wenn ein Kommentar auf Seite 1 der „Sächsischen...

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Es gehört leider zum guten Ton bzw. zum schlechten Stil vieler Medien, dass sprichwörtlich mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Wenn ein Kommentar auf Seite 1 der „Sächsischen Zeitung“ mit „Die Wahrheit wird zur Zielscheibe“ überschrieben ist, wie es am Dienstag der Fall war, dann überrascht der folgende martialische Satz auch nicht mehr: „Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit.“

Ja, so sagt man. Doch in dem Fall bezieht sich das nicht, wie man denken könnte, auf das verbale Säbelrasseln rund um die Ukraine-Krise, obwohl da eine solche Warnung angebracht wäre. Nein, man ahnt es schon, es geht um die Corona-Pandemie.

Aber weil wir gerade bei Zitaten und Redewendungen sind: Bekannt ist der Spruch von den kleinen Ursachen, die eine große Wirkung haben. Aktuell könnte es ebenso heißen: Kleine Anzeigen, große Aufregung. Selten wurde beruflichen Stellengesuchen eine solch Aufmerksamkeit zu teil. Weil „in auffällig großer Anzahl“ abgedruckt, sollen sie Leser sogar aufgeschreckt und verunsichert haben. Das behauptet jedenfalls der SZ-Kommentar.

Worum es geht? In mehreren Zeitungen, darunter übrigens auch in der „SZ“ aus Dresden, wurde jüngst eine Vielzahl von Kleinanzeigen veröffentlicht, über die sogenannte Ungeimpfte aus den Bereichen Krankenhaus und Pflege neue Jobs suchen. Aufgefallen ist das nur, weil es eben „auffällig viele“ waren. Bekanntlich droht ab Mitte März allen, die sich der Impfpflicht verweigern, die Arbeitslosigkeit. Dass sich die Betroffenen nun zusammentun, dürfte nicht verwundern. Dass sie sich nicht alles gefallen lassen, ebenso wenig.

Vielleicht war das Aufgeben von Stellenanzeigen ja abgesprochen. Na und? Da wollte jemand Aufmerksamkeit und hat sie bekommen. Reichlich! Wer nun reflexartig an Verschwörungstheorien bastelt, sollte sich diesen Spruch von Aldous Huxlex (1894-1963) durch den Kopf gehen lassen: „Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass man sie ignoriert.“

Oder dass man sich diverse Kleinanzeigen vornimmt, einige der Telefonnummern ausprobiert und dann den Spruch vom großen Fake in die mediale Welt setzt. Wie es Andreas Rausch vom RBB getan haben soll. Bundesweit sprangen Redaktionen darauf an. Die Schlagzeile, eine Kampagne von Querdenkern sei entlarvt worden, war bestimmt zu verlockend.

Warum da noch selbst recherchieren? Nun, weil das hilfreich gewesen wäre. Im Enthüllungs-Rausch war dem Kollegen u.a. entgangen, welches lokale Anzeigenblatt er vor sich hatte. Und wer kann schon der Versuchung widerstehen, es dem „Bautzener Boten“ unterzujubeln, dessen Herausgeber schließlich Landtagsabgeordneter der AfD ist. Auf den ersten Blick ein investigativer Beifang, auf den zweiten Blick jedoch schlicht falsch.

Bei WELT online nahm man sich allerdings die Zeit, mit Enrico Berger vom „Oberlausitzer Kurier“ zu sprechen. Denn diesen betraf es. Auf der OLK-Homepage gibt es inzwischen eine unaufgeregte Stellungnahme zu den Vorwürfen.

Die in der Region beheimatete „SZ“ druckte am Montag vorerst nur eine Agentur-Meldung nach. Der bereits erwähnte Titelseiten-Kommentar tags darauf stimmte ein auf eine große „Spurensuche“ auf Seite 3. Diese ergab letztlich nur „Auffällig viele auffällige Annoncen“. Doch das hatten wir ja schon. Es war ein vergeblicher Versuch, etwas aufzuklären, was keiner Erklärung bedarf.

Dass Beschäftigte aus Gesundheitswesen und Pflegebereich sich jetzt nach neuen Arbeitsstellen umsehen, weil sie in wenigen Wochen ungeimpft ihren Beruf vielleicht nicht mehr ausüben dürfen, ist doch normal. Sie tun es auch nicht nur via Kleinanzeigen in Druckmedien, sondern ebenso online. Nur ist das dann nicht so offensichtlich.

Offenbar möchte aber manch einer aber einfach noch immer nicht wahrhaben, dass durch die Umsetzung der berufsspezifischen Impfpflicht in den davon betroffenen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen wirklich Engpässe beim Personal drohen.

Jetzt zu ignorieren, dass sich seit Mitte Dezember bei der Arbeitsagentur Bautzen laut MDR Sachsen rund 30 Prozent mehr Menschen arbeitssuchend gemeldet haben, als sonst, von denen die meisten aus den von der Impfpflicht betroffenen Berufen kommen, wäre mehr als leichtfertig.

Laut Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) sind in Sachsen nur rund 65 Prozent der Beschäftigten des medizinischen und pflegerischen Bereiches geimpft. Ausgerechnet das fachlich versierte Personal hat also große Probleme mit den verordneten Impfungen. Woher kommen diese Zweifel bei denen, die doch so viel über Corona wissen dürften? Weshalb wird das nicht hinterfragt?

Jedenfalls ist es kein Zufall, dass in Bautzen zunehmend dieses Sachthema die montäglichen Spaziergänge in den frühen Abendstunden bestimmt. Deren Teilnehmer – aus den einst rund 300 wurden bis zu 2000 in dieser Woche – haben sich von den Vorwürfen, irgendwelchen Extremisten nachzurennen, nicht aus der Ruhe bringen lassen. Provokationen liefen letztlich ins Leere, Polizisten laufen wieder nur begleitend mit. Das tut beiden Seiten gut.

Während ihnen andere Kommunalpolitiker das Gespräch verweigern, stand den Bürgern mit Udo Witschas (CDU) diesmal der Vize-Landrat Rede und Antwort. Eine Kernaussage publizierte WELT online am Dienstag: „Wenn Sie mich danach fragen, was das Gesundheitsamt des Landkreises Bautzen machen wird ab dem 16.3., dann werden wir, unser Gesundheitsamt, unseren Mitarbeitern im Landkreis Bautzen in der Pflege und im medizinischen Bereich kein Berufsverbot (Betretungsverbot) aussprechen.“

In seinem Verständnis heißt das, zuallererst die Versorgung der Menschen im Landkreis zu gewährleisten. Kurz gesagt: Kein pauschales Aus für alle Ungeimpften ab einem fixen Datum. Daraus wurde ein hemdsärmeliges „Bautzen führt die Impflicht nicht ein“. Deshalb sei empfohlen, sich das Geschehen vom Montag auf YouTube anzusehen und zuzuhören.

Am Tag danach erscholl nämlich aus der Dresdner Staatskanzlei der Ruf „Kreuzigt ihn!“ In den Medien wurde Udo Witschas an den Pranger gestellt. Die lokale „SZ“ zelebrierte die „massive Kritik“. Er habe widerrufen, „das habe er zurückgenommen“, wurde vermeldet. Was er aber nicht hat, und das steht sogar im gleichen Artikel. Der Landesdirektion Dresden gegenüber verweist Udo Witschas als zuständiger Erster Beigeordneter in einer schriftlichen Stellungnahme darauf, dass ein Stufenplan des Bautzener Gesundheitsamtes „auf Basis des geltenden Rechts“ erstellt wurde.

Allen „Spaziergängern“ aber sei ein Spruch der Katharina von Siena (1347-1380) mit auf den weiteren Weg gegeben: „Das Beginnen wird nicht belohnt, einzig und allein das Durchhalten.“

Hans-Georg Prause

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