Schwarzmaler werden zu Weißwäschern

„Spät kommt ihr, aber ihr kommt.“ Das ist nur eine der zum Geflügelten Wort gewordenen Zeilen aus Schillers „Wallenstein“, von denen es in diesem Drama so viele gibt....

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„Spät kommt ihr, aber ihr kommt.“ Das ist nur eine der zum Geflügelten Wort gewordenen Zeilen aus Schillers „Wallenstein“, von denen es in diesem Drama so viele gibt. Dort entschuldigte der weite Weg das Säumen des Generals Isolnali. Was aber entschuldigt hier bei uns die eklatanten Versäumnisse der sächsischen Landesregierung?

Auch im Freistaat reicht jetzt für den Einkauf in allen Geschäften das Tragen einer Maske; die Auflagen der G-Regeln gelten nicht mehr. Allerdings ist Sachsen bei der schrittweisen Aussetzung der Corona-Restriktionen nur Bummelletzter. Während man sich zuvor bei der Einführung drakonischer Maßnahmen während der Pandemie so sehr in der Rolle des Klassenprimus gefiel.

Bereits Anfang (!) Februar war es einfacher, jene Bundesländer aufzuzählen, die noch an den drastischen Einschränkungen für den Einzelhandel festhielten: In Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz galt nach wie vor 2G, in Thüringen und Sachsen weitgehend 3G. Und das war‘s. Dabei waren schon damals Parameter wie Inzidenz oder Intensivstation eher eine Frage der Interpretation.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verbat sich sogar eine Einmischung der Wissenschaft in Fragen der Politik, wenn es um die Eindämmung der Pandemie gehe. Er wolle eine „Corona-Politik ohne Forscher“, so hieß es am 28. Januar bei ntv-online. Was war nur aus dem Slogan „Follow the science“ (Folge der Wissenschaft) geworden, also dem Bannspruch wider allen Querdenkern?

Die Unvereinbarkeit von Verschwörungstheorien und wissenschaftlichem Denken sei mehr Wunschdenken als Wirklichkeit, gestand der Psychoanalytiker Peter Schneider in seinem Plädoyer gegen wissenschaftsphilosophische Verdummung. Er bedauerte, dass in das „populistische Pro-und-Kontra-Spiel“ auch Wissenschaftler verstrickt seien.

Den Fachmann verwunderte das nicht, und der Laie staunte schon lange nicht mehr darüber. Wie sonst würden Aussagen eines über nur die Medien in ein Ministeramt gelobten Mannes zu Running Gags werden? Erinnern Sie sich: Im vorigen Herbst prophezeite Karl Lauterbach (SPD), alle Ungeimpften werden bis März geimpft, genesen „oder leider verstorben“ sein („Berliner Zeitung“, 28. Oktober). Nun, Totgesagte leben bekanntlich länger. Oder um den Bestseller-Autor Johannes Mario Simmel zu zitieren: „Hurra, wir leben noch!“

Nun, es muss nicht immer Lauterbach sein. Es sind keinesfalls nur Politiker, deren Aussagen ein kurzes Verfallsdatum haben. Nehmen wir mal den Virologen Christian Drosten. Die „Frankfurter Rundschau“ zitierte ihn am 28. Dezember mit dieser „erfreulichen Nachricht“ zur Omikron-Variante des Corona-Virus: „Ungeimpfte haben weniger Risiko“. Nur um bereits am 31. Dezember bei InFranken.de dann Drostens Warnung zu finden: „Ungeimpfte jetzt richtig in Gefahr“.

Allerdings war da bereits eine spezielle Art von Immunität weit verbreitet, nämlich die gegen solche Tatarenmeldungen. Das hatte nichts mit Wissenschaftsfeindlichkeit zu tun, wie den Kritikern solcher willkürlich anmutenden Aussagen gern unterstellt wurde. Bei einem früheren Morning Briefing von Gabor Steingart („The Pioneer“) las sich das wie folgt: „Der Agenda-Wissenschaftler ist der große Bruder des Gesinnungsjournalisten. Deswegen zitieren sich beide am liebsten auch gegenseitig.“

Die so ausgelöste Pandemie-Paranoia dürfte das trotzdem nicht überlebt haben. Was bei jenen, die unser aller Untergang stets mit Eifer bis hin zum Geifern ankündigten, nun eine mittlere Panik ausgelöst hat. Doch die Masken fallen. Selbst wenn das noch nicht wortwörtlich genommen werden kann. Höchste Zeit dafür wäre es.

Nach und nach zeigt sich, dass der Kaiser nur unzulänglich bekleidet war. Wer auch immer sich bemüht hat, aus gutem Glauben oder wider besseres Wissen, die Blöße der praktizierten Corona-Politik zu bedecken, kommt in Erklärungsnot. Schwarzmaler mutieren deshalb nun zu Weißwäschern.

Hier nur das jüngste Beispiel: Da wird (erst) jetzt bekannt gemacht, dass die Lage in den Krankenhäusern nicht so dramatisch war und ist, wie sie dargestellt wurde und wird (WELT online, 16. Februar). Sie entspricht nicht den offiziellen Daten des Robert Koch-Institutes (RKI). Wahrlich kein Einzelfall. Was tun? Das dänische Boulevardblatt „Ekstra Bladet“ hat sich bei seinen Lesern öffentlich dafür entschuldigt, Corona-Zahlen der Regierung unkritisch übernommen zu haben. Ein mea culpa (meine Schuld) deutscher Medien wird es wohl nicht geben.

Dafür wurden Werbebriefe, die zum Impfen animieren sollen, aus der sächsischen Staatskanzlei an alle (!) Bürger über 60 Jahre verschickt, egal, ob geimpft oder nicht. Solch eine Peinlichkeit ist unbezahlbar, hat aber natürlich ihren Preis. Die Kosten, die letztlich der Steuerzahler trägt und für die u.a. CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer unterschrieben hat, sollen sich auf fast eine Million Euro belaufen.

Verschickt wurden die Briefe übrigens mit Post Modern. Ohne Frage ein stolzer Großauftrag. Das Unternehmen gehört zur DD+V-Mediengruppe. An dieser ist die SPD mit 40 Prozent beteiligt. Auch die „Sächsische Zeitung“ erscheint in dem Dresdner Druck- und Verlagshaus. Es komme nun bloß keiner auf den Gedanken, dass die Politik über solche Umwege die Presse sponsert.

An ein Ende der Pandemie-Restriktionen sollte man nicht zu früh und nicht zu fest glauben. Es hört sich gut an, vielleicht zu gut, dass noch im März fast alle Verfügungen, Verordnungen und Verbote aufgehoben werden. Wirklich aufgehoben? Man darf da ruhig mal die Dialektik bemühen. Schlag nach bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Oder, etwas einfacher und auf den Punkt gebracht, man folge dem Feuilleton-Chef von WELT online (19. Februar):

„Nun geht die Corona-Politik zur offenen Verhöhnung der Bürger über“, meint Andreas Rosenfelder. Warum? „Bund und Länder wollen, dass zentrale Corona-Maßnahmen auch nach dem 20. März möglich bleiben. Sie verharmlosen das als ‚niedrigschwelligen Basisschutz‘ …“ Für ihn ist das „schönster Corona-Neusprech“.

So gesellt sich George Orwell zu Hegel. Denn es ist nichts Gutes, was da alles als „Basismaßnahmen“ (so bemäntelt es Sachsens SPD-Sozialministerin Petra Köpping) „aufgehoben“ werden soll: Masken- und Testpflicht, Abstandsregeln, Impfnachweise … Viel zu einfach hatte es sich damit „von oben“ selbstermächtigt regieren lassen. Und das Volk war letztlich folgsam. Selbst schuld! Also alles wie gehabt, alles bleibt da, alles auf Abruf.

Ist das eventuell sogar eine Drohung? Ein Nachlassen der öffentlichen Proteste gegen die Corona-Politik wird es deshalb kaum geben. Kann man diese vielleicht einfach ignorieren? Nun, je länger z.B. in Bautzen die Demonstrationen der „Spaziergänger“ werden, umso kürzer werden Berichte davon in der lokalen Tageszeitung. Für diese ist es jedoch bestimmt kein gutes Zeichen, dass sich darüber inzwischen keiner mehr aufregt.     

All jene, die montags auf die Straße gehen, nehmen es inzwischen gelassen hin, verdächtig, verleumdet und angefeindet zu werden. Sie halten es eher mit der Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach, die da fand: „Gelassenheit ist eine anmutige Form des Selbstbewusstseins.“

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