Von „Hosianna!“ zu „Kreuzigt ihn!“?

Weil wir in wenigen Tagen das Osterfest feiern, sei dieser Verweis auf die Bibel gestattet. Als Jesus am Palmsonntag des Jahres 33 – wie wir es heute datieren...

1790
1790

Weil wir in wenigen Tagen das Osterfest feiern, sei dieser Verweis auf die Bibel gestattet. Als Jesus am Palmsonntag des Jahres 33 – wie wir es heute datieren – auf dem Rücken eines schlichten Esels in Jerusalem einzog, jubelte ihm das begeisterte Volk zu: „Hosianna!“. Um nur wenige Tage darauf mit ähnlicher Inbrunst zu fordern: „Weg mit ihm! Kreuzigt ihn!“ Das geschah dann am Karfreitag. Aber ist das alles nur Religion, nur Geschichte?

Nun, mit historischen Analogien ist das so eine Sache. Nicht nur Vergleiche hinken. Deshalb ist Karl Lauterbach auch kein Jesus, und ans Kreuz geschlagen wird er ganz sicher nicht. Außerdem musste er nicht selbst in den Sattel steigen, um in Berlin einzureiten. Obwohl er gern hoch zu Ross daher kommt. Es war viel mehr die von den Medien veröffentlichte Meinung, die ihn ins Kanzleramt getragen hat.

Inzwischen ist Lauterbach für die „FAZ“ zwar nun „Der tragischste Minister“, doch wird er rücksichtsvoll behandelt. Der flache Gipfel eines seitens der Zeitung gemachten Vorwurfs: Er habe es sich selbst zuzuschreiben, dass es so kam, wie es kommen musste. Eine kritische Aufarbeitung sieht anders aus. Für das ganze Corona-Chaos ist jedoch nicht er allein verantwortlich. Ob sich Karl Lauterbach auf dem Stuhl des Gesundheitsministers wirklich wohlfühlt, ist zudem nicht ganz klar. Hatte er es sich doch über viele Monate in den Sesseln der TV-Talkshow-Runden bequem gemacht. Aber eigentlich war und ist das auch egal. Immer und überall verkündete er seine Botschaft, die wenig Frohes an sich hat: Wir leben und sterben alle mit oder an dem Corona-Virus. Doch wie jeder zünftige Guru kennt Lauterbach auch den Weg, der zur Erlösung führt: die Massenimpfung. Sich mehrmals impfen zu lassen, ist dabei die moderne Version einer Kasteiung. Und nicht wenige Jünger des Corona-Orakels folgen ihm seit gut zwei Jahren, ohne dabei nach rechts und links zu schauen. Warnungen vor einem Irrweg bleiben ungehört, weil man sich im gesellschaftlichen Mainstream so geborgen fühlt.

Aber könnte es nicht sein, dass es nicht nur um die hehre Volksgesundheit, sondern um handfeste wirtschaftliche Interessen geht? Dabei muss man gar nicht an die Mauscheleien mit den FFP2-Masken aus grauen Vorzeiten der Pandemie erinnern. Viel Geld ließ sich, wie dieser Tage zu lesen war, auch mit den Testzentren verdienen. Vor allem dann, wenn auch noch getrickst wurde. Das „Handelsblatt“ berichtete am 11. April von einem „Millionen-Betrug mit Corona-Tests“ . Behörden würden bereits in über 640 Fällen wegen Abrechnungsbetrug ermitteln.

Das wiederum dürften Peanuts sein im Vergleich zu den verschwendeten Steuergeldern u.a. für jene 77 Millionen ungenutzte Covid-Impfdosen, die der Bund auf Halde liegen hat. Das ist laut WELT online „Impfstoff im Überfluss“, von dem bis Ende Juni elf Millionen Dosen im Müll landen werden. Denn dann ist das Verfallsdatum abgelaufen.Vielleicht war das der wahre Grund dafür, warum Karl Lauterbach bis zum dritten Hahnenkrähen um die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gebettelt hat. Doch seine Gebete blieben unerhört. Stattdessen gab es Beifall im Bundestag, als das ablehnende Votum verkündet wurde. Natürlich kam dieser „von der falschen Seite“. Manch einer, der ebenfalls mit „Nein“ gestimmt hatte, dürfte noch zu erschrocken gewesen sein über seinen Mut zur Courage.Der Glaube an den gesunden Menschenverstand war jedenfalls mehrheitlich stärker als der Aberglaube an eine Null-Covid-Welt. Ganz nebenbei dürfte die Entscheidung der Abgeordneten ihren Wählern wieder den Mut gegeben haben, an die Demokratie und das parlamentarische System zu glauben. Vielleicht ist man doch nicht nur williges „Stimmvolk“. Die sich vom Kanzleramt in Berlin auf die Staatskanzleien in den Ländern ausbreitende Manie, selbstgefällig und selbstermächtigt mit Verordnungen und Verdikten zu regieren, hat großen Schaden angerichtet.

Die aktuelle Folge: 31 Prozent der Teilnehmer einer repräsentativen Allensbach-Befragung äußerten die Einschätzung, in einer „Scheindemokratie“ zu leben, „in der die Bürger nichts zu sagen haben“. (Spiegel online, 11. April)Ob Politiker aber aus Schaden klug werden? Zweifel sind angebracht. So plädierte Karl Lauterbach nach der Verabschiedung des neuen Infektionsschutzgesetzes nicht nur für eine zweiwöchige Verlängerung des damaligen Status Quo, sondern wollte gern auch die Maskenpflicht beibehalten, teils durch Freiwilligkeit, teils durch Hausrecht. Der Handel zum Beispiel lehnte dankend ab.Bereitwillig sekundierten ihm aber erneut die Medien mit den dazu passenden Umfragen. „Zwei Drittel der Deutschen wollen beim Einkaufen weiter Maske tragen“ verkündete z.B. WELT online. Nun, es kam ganz anders. Man sehe sich nur mal in den Geschäften um.Trotzdem schilderte einige Tage später Heinrich Maria Löbbers in der „Sächsischen Zeitung“ als Einstieg zum Leitartikel der Wochenendausgabe vom 9./10. April eine Begegnung im oder am Supermarkt, wo die Trägerin einer Maske wegen eben dieser von einer anderen Frau „angeherrscht“ worden sein soll. Ein Beispiel, es kann so passiert sein. Aber wäre das nicht vernachlässigbar?

Andersherum passierte das in jüngster Vergangenheit doch sehr viel öfter. Wenn sich jemand nicht streng ans Pandemie-Protokoll hielt, waren in Deutschland der Hilfspolizist, der Denunziant, der Hauswart plötzlich wieder gefragt. Disziplinierung durch hypermoralische Einschüchterung und gesellschaftliche Ächtung, berufliche Verunsicherung und strafrechtliche Androhungen – das alles wird und darf so schnell nicht vergessen werden.

Ans Kreuz geschlagen wird deshalb hierzulande kein Mensch. Selbst wenn sich manche gottgleich fühlen und aufführen. Haben sie Pech, endet ihr ganz persönlicher Kreuzweg auf ein Hinterbänkchen in den Sitzreihen der Politik. (Was ist aus Lauterbach-Vorgänger Jens Spahn wohl geworden?)Und wie geht’s nach Pleiten, Pech und Pannen dem amtierende Gesundheitsminister? „Lauterbach verliert massiv an Rückhalt in der Bevölkerung“ berichtet WELT online. Nur 36 Prozent seien mit seiner Arbeit zufrieden; bei Amtsantritt waren es noch 53 Prozent. Ebenfalls am 10. April heißt es dort in einem weiteren Beitrag über ihn: „Nach nur vier Monaten im Amt ist die Liste seiner Fehltritte beträchtlich.“

Also derzeit kein „Hosianna!“, aber auch kein „Kreuzigt ihn!“ Und um im Oster-Bild zu bleiben: Er dürfte trotzdem fest an seine politische Auferstehung glauben. Und ein weiterer Corona-Herbst soll im Recht geben. Was für ein perverser Wunsch! Das schwere Kreuz hätten dann nämlich wieder andere zu tragen.

Hans-Georg Prause

Schlagworte
WP Twitter Auto Publish Powered By : XYZScripts.com