„Danke für Nichts!“, das sangen die Onkelz auf ihrem zehnten Studio-Album. Wirklich bö(h)se war das nicht, aber dieser Rocksong triefte dafür vor Sarkasmus. Von der Index-Liste aufs Illustrierten-Cover? Die Band wollte sich nicht derart vereinnahmen lassen: „Wir sind noch lange, noch lange keine Freunde.“ Doch was soll hier und heute diese Reminiszenz?
Ein gutes Vierteljahrhundert später kommt einem jene Titelzeile wieder in den Sinn, wenn man sieht, was der Freistaat Sachsen unter der angekündigten Lockerung von Corona-Maßnahmen versteht. Es sind weder Krankenstationen überfüllt (wenn sie es überhaupt je waren), noch erkranken besonders viele Menschen. Aber es bleibt fast alles wie gehabt. Also danke für nichts, für gar nichts.
Oder glaubt wirklich jemand, dass sich z.B. beim Einkaufen allein die Umwandlung der 2G- in die 3G-Regel positiv auswirkt? Nein, im Internethandel von A wie Amazon bis Z wie Zalando wird weiterhin abkassiert. Während die Geschäfte vor Ort mit enormen Einbußen (über)leben müssen.
In Mitteldeutschland liegen die Infektionszahlen deutlich unter denen anderer Bundesländer. Trotzdem gelten – neben Rheinland-Pfalz – inzwischen nur noch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beim Einkauf diese drastischen Geimpft/Genesen/Getestet-Restriktionen.
Auch die Gastronomie, die Kultur, der Sport dürften mit dem halbherzigen bis unbarmherzigen Gebaren der dafür verantwortlichen Politiker nicht glücklich sein. Zwei Jahre Pandemie sind da eine gefühlte Ewigkeit. Und wie sagte einst Woody Allen: „Die Ewigkeit dauert lange, besonders gegen Ende hin.“ Dass das Ende aller Corona-Einschränkungen nicht auf unendlich verschoben wird, fordern seit einigen Monaten jene Menschen, die inzwischen zu Zehntausenden auf die Straße gehen.
Das ist in Bautzen nicht anders als anderswo. Vielleicht war man hier nur etwas eher dran und wurde konkreter. Als unlängst der Vize-Landrat Udo Witschas (CDU) zu den Demonstranten sprach, ging es um die einrichtungsabhängige Impfpflicht für den Gesundheits- und Pflegebereich. Die Ankündigung des Kommunalpolitikers, dass diese zum gesetzten Termin Mitte März nicht pauschal umgesetzt werde, weil sie praktisch gar nicht umgesetzt werden könne, fand den Beifall der mehr als 2000 vor dem Landratsamt Versammelten.
Ganz anders reagierte man in Parteibüros und Redaktionen auf diesen öffentlichen Faktencheck. Gerade jene, die sonst bei der geringsten Kritik an der Regierung und an Politikern über Hass und Hetze lamentieren, spuckten diesmal Gift und Galle. So lauteten deshalb in jener Woche die Überschriften von Artikeln der lokalen „Sächsischen Zeitung“ an drei aufeinanderfolgenden Tagen:
„Politiker fordern Rücktritt des Vize-Landrats“ (27.1.), „Platzt sein Traum vom Landratsamt?“ (28.1.), „Disziplinarische Konsequenzen für Witschas gefordert“ (29./30.1.). Flankiert wurde dieses Bemühen, Udo Witschas unbedingt schlecht aussehen zu lassen, von einem Interview (29./30.1.) mit Landrat Michael Harig (CDU). Doch dieser stand zu seinem Stellvertreter. Schließlich hatte auch er sich zuvor bereits öffentlich gegen diese Impfpflicht ausgesprochen.
Kaum zufällig gab es am 29./30.1. im „SZ“-Lokalteil zudem noch ein Gespräch mit Polizeidirektor Mario Steiner, dem Leiter des Polizeirevieres, über die Montagsdemos. Bei diesen hatte sich die Lage in der Stadt durch beiderseitige Provokationen etwas verschärft. Nur war die unaufgeregte Aussage des Polizeichefs, dass dabei 90 Prozent der Teilnehmer friedlich sind, dann aber wohl nicht das, was sich die Journalistin eventuell erhofft hatte.
Mit einer vielleicht auf bundesweites Medienecho abzielenden lokalen Pressekampagne wurde es also nichts. Die Dresdner Staatskanzlei ihrerseits konnte die Bautzener auch nicht sehr lange als „Einzeltäter“ hinstellen. Vom Sächsischen Landkreistag bekam es Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) recht bald sogar schriftlich: Alle zehn Landräte forderten nun die Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht.
Was Landräten recht ist, sollte Oberbürgermeistern nur billig sein. Dass auch Dirk Hilbert (FDP) in Dresden die berufsbezogene Impflicht kritisieren würde, kam unerwartet. Sinneswandel oder nur Kalkül? Noch einen Schritt weiter ging Alexander Ahrens (SPD) in Bautzen, der sich laut „SZ“ (vom 4.2.) in einem Brief an MP Kretschmer gegen eine allgemeine Impfpflicht aussprach. Auch solle man die Montagsdemos nicht über Bausch und Bogen verdammen. Im Monat zuvor sah Ahrens diese „Spaziergänge“ noch als von Nazis unterwandert an („Von Frust, Freud und Feldversuch“).
Schließlich reagierte man selbst in Berlin. Ungeimpfte Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen würden nach Inkrafttreten der einrichtungsbezogenen Impfpflicht Mitte März nicht unmittelbar ihre Anstellung verlieren. „Kontrolliert und entschieden wird im Einzelfall“, betonte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums. Selbst Sachsen verschiebt nun die Regelung zur Impfpflicht („SZ“ vom 9.2.). Die Herausforderungen seien enorm. Das hatte auch der Bautzener Vize-Landrat gesagt. Und war dafür angefeindet worden.
Die bunte Regierung am Dresdner Königsufer hat eben ihre liebe Not mit ihrem unbotmäßigen Volk. Ministerpräsident Kretschmer findet Demonstrationen gegen die Corona-Politik sowieso „grundsätzlich unangemessen“. Sie seien nicht zu rechtfertigen, das sagte er Anfang Januar der „FAZ“. Wahrlich demokratisch gedacht.
Für seine Sozialministerin Petra Köpping (SPD) waren deshalb sogar „Teile Sachsens unregierbar“. Zumindest stimmt sie dieser Aussage in einer „Debatte in Sachsen“ zu, obwohl sie es danach in diesem Podcast so nicht gemeint haben will. Nun ja, da hatte z.B. der Sächsische Städte- und Gemeindetag aber bereits sein Befremden über diese deplatzierte Äußerung öffentlich gemacht.
Doch kann man Frau Köpping einen Vorwurf machen? Ihre Genossin Nancy Faeser, also die Bundesinnenministerin mit dem SPD-Parteibuch, hatte es ja mit dem kruden Gedanken in die Schlagzeilen geschafft, man könne doch seine Meinung kundtuen, ohne sich zu versammeln. Ist Ruhe ist wieder die erste Bürgerpflicht? Wird nun Artikel 8 des Grundgesetzes ersatzlos gestrichen?
So hätten sie es wohl gern. Laut George Orwell ist jedoch „Freiheit das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.“ Dieses Recht werden sich die Menschen nicht nehmen lassen. Auch nicht die diesmal bereits weit mehr als 3000 „Spaziergänger“, die am vergangenen Montag in Bautzen unterwegs waren.
Die Regierenden jedoch dürfen keine Dankbarkeit erwarten. Wofür denn? Eine aktuelle Studie der Uni Erfurt belegt, dass das Vertrauen in die Politik der Bundesregierung nur noch bei 27 Prozent liegt. Diese demografische Untersuchung erstreckt sich über den bisherigen Pandemie-Zeitraum und bezieht über eintausend Personen ein. Es ist also keine politische Gefälligkeitsumfrage. Dafür aber ein deutliches „Danke für Nichts!“