„Na ja … wenigstens wird der Mob sie in einer Kirche vielleicht nicht gleich lynchen.“ So twitterte ein gewisser „gOlgrim aka Gnully“ am 23. Januar. Mit dem „Mob“ dürften Bautzener Bürger gemeint sein. Das „sie“ bezieht sich wohl auf Annalena Schmidt. Denn es geht um das für den 8. Februar angekündigte offene Forum in der Maria-und-Martha-Kirche (Beginn 19 Uhr, keine Eintrittskarten erforderlich).
Über das rassistische „lynchen“ im eingangs zitierten Satz muss kein Wort verloren werden. Damit disqualifiziert sich der Verfasser dieses menschenunwürdigen Tweets selbst. Er weiß schon, warum er sich hinter so einem albernen Namen versteckt. Zu finden war das (der Screenshot liegt vor) im Twitter-Account des „Bautzener Jungen“. Wer auch immer das ist – er wird hoffentlich davon peinlich berührt gewesen sein. Aber er gab eben für einen so hässlichen Kommentar die Steilvorlage, als er selbst twitterte: „Wir müssen reden! Ich höre die Massen schon Heil #Drews rufen. Respekt an @Schmanle das Sie sich in diesem Format diesen Verschwörungstheoretiker gegenüber setzt.“ So steht’s geschrieben, Fehler inklusive.
Für all jene Leser, die nicht wissen, um was es hier geht: Der Bautzener Oberbürgermeister Alexander Ahrens möchte, dass öffentlich über das von atmosphärischen Störungen nicht freie Zusammenleben in der Stadt diskutiert wird. Er macht eine Polarisierung an zwei Personen fest, die beide – je nach Sichtweise – mit dem Adjektiv „umstritten“ versehen können: der Historikerin Annalena Schmidt, bekannt als gern in Medien präsente linke Bloggerin, eine „Botschafterin für Demokratie und Toleranz“, und Jörg Drews, Geschäftsführer der Hentschke Bau GmbH, der sich in Bautzen nicht nur als Bauunternehmer, sondern auch als lokaler Förderer von Vereinen und Projekten einen guten Namen gemacht hat. Wozu auch „rechte“ Aktivitäten gehören. Was manch einem nicht passt. Beide sollen nun am Freitag in der Kirche am August-Bebel-Platz mit ihren Statements eine Diskussionsrunde einleiten. Das optimistische Motto lautet „Zurück zur Sachlichkeit“ – ein moderiertes Podium unter Beteiligung der Bürger.
Mit der Sachlichkeit ist das so eine Sache. Die oben angeführten Tweets stammen aus dem Twitter-Umfeld von Annalena Schmidt. Keine Frage, dafür kann sie nichts. Das ist der bekannte üble Social Media-Bodensatz. Sie dürfte sich auch kaum in jener Opferrolle sehen, die Birgit Kieschnick (wenigstens ein Klarname) an die Wand malt: „Diese Sache kann voll nach hinten losgehen. Annalena will Gutes für Bautzen, opfert sich aber eventuell auf. Habe ungutes Gefühl.“ Das ist wirklich rührend, doch es geht um ein Bürgerforum, nicht um ein Tribunal. Da wird keiner ans Kreuz geschlagen und es muss keine zu Kreuze kriechen. Überlegenswert ist allerdings, was Frau Schmidt selbst dazu in ihrem Wahltagebuch schreibt: „Es macht aus meiner Sicht keinen Sinn, dass man bei dem Auftakt einer Reihe an Veranstaltungen, die dem Dialog in der Stadt dienen sollen, zwei Personen auf das Podium setzt, die derart polarisieren.“ Der Schriftsteller Max Frisch hatte das so formuliert: „Worte verbinden nur, wo unsere Wellenlängen übereinstimmen.“ Eine Stadtgesellschaft muss selbst konträre Meinungen aushalten können.
Die Bautzener sollten aber trotzdem jede Möglichkeit nutzen, sich darüber zu verständigen, was gut für die Stadt und ihre Einwohner ist. Wenn Annalena Schmidt nun explizit diese Gelegenheit bekommt, dann kann sie gleich mal erklären, warum sie im August vorigen Jahres twitterte: „Ganz ehrlich: Mit wenigen Ausnahmen ist die Stadtpolitik doch gekauft. Das wird leider immer deutlicher …“ Es gab zu diesem Thema schon mal eine Kolumne: „Gekaufte Stadtpolitik?“.Aber die Frage ist noch unbeantwortet. Inzwischen will Frau Schmidt dem Vernehmen nach am 26. Mai selbst für den Stadtrat bewerben, wie es heißt für die Grünen. Und Jörg Drews, eventuell Stadtrat-Kandidat für das Bürgerbündnis Bautzen? Vielleicht passt da die dem griechischen Dichter Homer zugeschriebene Replik: „Doch wir horchen allein dem Gerücht und wissen durchaus nichts.“ Es wird versucht, abträgliche Meinungen über ihn als profunde Tatsachen zu verkaufen. Nur macht nicht jeder Versuch auch klug. Da irrt das Sprichwort.
Wie groß aber ist die Gefahr, dass dieser Bautzener Bürgertreff zum Podium für Selbstdarsteller verkommt? Es soll Leute geben, die können nicht an sich halten, wenn sie eine Mikrofon oder eine Kamera sehen. Viel Verantwortung für den Moderator, den die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung für diesen Abend abstellt. Gibt es in Bautzen niemanden, der allgemeines Vertrauen genießt und über all dem Tratsch und Knatsch steht? Da werden Erinnerungen wach: Im Herbst 1989, da gab es mit Christian Schramm so einen Mann … Die Kirche war voll, die Lage angespannt; keiner wusste, wie das endet. Alles Weitere ist längst Geschichte. Nach der Wende leitete er als Oberbürgermeister stolze 25 Jahre die Geschicke seiner Stadt. Kürzlich wurde er vom Lions-Club mit der Käubler-Medaille geehrt – Glückwunsch!
Und da ist noch eine Frage: Wie sachlich werden die Medien über diese Versammlung berichten? Werden auch sie sich dem Motto des Abends – „Zurück zur Sachlichkeit“ – verpflichtet fühlen? Die Lust am Krawall hat hoffentlich noch nicht ganz die „Sächsischen Zeitung“ erreicht. Das wäre sehr schade. Aber da gibt es eben – sogar im Feuilleton – dieses Beispiel vom 30. Januar:
Michael Bittner, bis vor kurzem noch SZ-Kolumnen-Widerpart von Prof. Patzelt, schrieb über eine Debatte mit Jana Simon (Die ZEIT), Enkelin der Schriftstellerin Christa Wolf, und Simon Strauß (FAZ), Sohn des Schriftstellers Botho Strauß, im Dresdner Societaetstheater. Der „Wortwechsel“ über Literatur und Politik war kein heftiger. Des Autors Tagtraum: „… man wünschte sich irgendwann fast, von der Decke würde sich eine Gruppe rechtsextremer Identitärer abseilen und durch die Tür die Antifa brechen.“ Das ist Ironie mit einem Schuss Sarkasmus, alles klar. Wirklich? Bittner schließt nämlich etwas provokant: „Selbst Menschen, die Saalschlachten abgeneigt sind, dürften sich gefragt haben: Zivilisierte Debatte, schön und gut – aber muss es dabei wirklich gleich so kreuzbrav zugehen?“
Wer „Zurück zur Sachlichkeit“ will, sollte sich nicht provozieren lassen. „Viele Leute würden verstummen, wenn ihnen untersagt würde, sich zu rühmen und andere zu schmähen.“ Vielleicht wäre dieser überlieferte Ausspruch der Pariser Salondame Madame Fontaine auch ein gutes Motto für das Bürgerforum. Die Bautzener sind alles in allem kreuzbrave Leut‘. Es ist allerdings auch ein trutziges Stadtvolk. Da bleibt mit Blick auf die Veranstaltung am Freitag in der Maria-und-Martha-Kirche nur die vage Hoffnung, dass sich das bei der Diskussion die Waage hält. Hans-Georg Prause