Der Bautzener Oberbürgermeister hat einen Brief geschrieben, einen sogenannten Offenen Brief. Empfänger war, oder besser: gemeint war die Lokalredaktion der Sächsische Zeitung. So richtig öffentlich wurde diese Postsache nicht. Doch offenbar vertraute Alexander Ahrens dem persönlichen Account beim Social Media-Kanal Facebook mehr, als der Leserbriefspalte seiner Heimatzeitung. Da er die Bautzener SZ-Redaktion in einer Art und Weise kritisierte, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ, befürchtete er wohl eine nur lückenhafte Veröffentlichung oder den Abdruck von aus dem Zusammenhang gerissenen Ausschnitten. Das soll ja schon vorgekommen sein.
Worum ging es? Der Bautzener OB erregte sich über die jüngsten SZ-Beiträge rund um den Kauf oder Nichtankauf der „Krone“ und des angrenzenden innerstädtischen Areals. Diese Artikel sind – laut Ahrens – tendenziös und nicht frei von Befindlichkeiten gewesen. Seiner Replik mangelte nicht an Vorwürfen und es wurde auch nicht an Sarkasmus gespart. Da hatte sich einer mal so richtig Luft gemacht. Der Beitrag wurde bei Facebook am 19. Mai um 2 Uhr 31 eingestellt; das lässt auf eine schlaflose Nacht schließen. Nun ja, wer von sich selbst und davon überzeugt ist, mit Leidenschaft für die Stadt zu arbeiten, kann es nicht so einfach stehen lassen, er sei zu „lässig“ mit der „Krone“-Frage umgegangen und von den Stadträten „vorgeführt“ worden. Das schmerzte ganz bestimmt dem eigenen Ego. Voller Zorn holte also der Oberbürgermeister mal so richtig zum Rundumschlag aus. Noch in den Anmerkungen zu den Kommentaren von Followers seiner Facebook-Seite schrieb er von einer „grottenschlecht recherchierten Berichterstattung“. Das war in den Mittagsstunden. Mit Übernächtigung also kaum mehr zu erklären.
Nun ist in der aktuellen Medien-Diskussion zwar Facebook allgegenwärtig, genannt seien hier nur die Stichworte Hasskommentare und Fake-News, doch dass dieser Offene Brief des Bautzener OB nach seiner Veröffentlichung in der Öffentlichkeit großartig diskutiert wurde, kann man nicht behaupten. Insgesamt rund 1600 Leuten „gefällt“ der Facebook-Auftritt von Ahrens; der bewusste Beitrag wurde recht lebhaft mit Für und Wider kommentiert. Es mag sein, dass das schon ein Erfolg ist. Die Reichweite der kritischen Äußerungen blieb jedoch begrenzt. Einem offenen Austausch von Meinungen dienlich gewesen wäre es, wenn die Sächsische Zeitung an den folgenden Tagen auf die Attacke von Alexander Ahrens reagiert hätte. Genau das aber unterblieb. Aus Bedachtsamkeit? Aus Überheblichkeit? Nur der Oberlausitzer Kurier griff das Thema am 27. Mai auf.
Inzwischen hatte es bereits ein „klärendes Gespräch“ zwischen dem Bautzener Oberbürgermeister und Vertretern der Zeitung gegeben. Das Resultat: Am 24. Mai war ein sehr ausführlicher Widerruf von Alexander Ahrens auf seiner Facebook-Seite zu lesen. Vielleicht lag es am gleichzeitig beginnenden Kirchentag, dass man unweigerlich an den so historischen wie sinnbildlichen Gang nach Canossa dachte. Vieles von dem, was Ahrens geschrieben hatte, war aber einfach nicht haltbar. Er kam nicht umhin, die so pauschal kritisierten SZ-Mitarbeiter um Entschuldigung zu bitten. Jeder Erklärungsversuch in dieser Stellungnahme wird beim Lesen des längeren Textes nur als ein solcher empfunden. Hier schlug das Pendel wohl ganz gewaltig in die andere Richtung aus. Der Oberbürgermeister hüllte sich in Sack und Asche. Freiwillig? Seinem Ansehen dürfte das nicht gut getan haben. Und dem der Stadt Bautzen auch nicht.
Denn es ist schon paradox: In Bautzen spricht kaum einer über diese Art von Scharade, die einige Wochen später gut ins Sommertheater gepasst hätte, aber die überregionale Tageszeitung „taz“ schreibt darüber. Alles in allem ein sachlicher Beitrag. Zutreffend wohl vor allem dieser Satz: „Bautzen verliert sich in Grabenkämpfen.“ Dann kommt es aber wieder, obwohl es mit eigentlichen Thema nichts zu tun hat: „Spätestens seit seiner Gesprächseinladung an Exponenten der rechten Szene nach den Auseinandersetzungen mit jungen Flüchtlingen am Kornmarkt gilt der OB als schwer berechenbar.“
Auch unter Medienleuten wurde diese Konfrontation zwischen Kommune und Presse diskutiert. Denn dafür stehen der Oberbürgermeister und die Redaktion gewissermaßen pars pro toto. (Auch Ahrens greift gern mal zum Latein. Vielleicht spricht er es sogar.) Beim „Flurfunk“, das ist ein Dresdner Medienblog, hört sich das so an: „Selbst, wenn die Qualität der Lokalzeitung noch so schlecht sein mag – politisch ist es immer ungeschickt, es sich mit dem größten Medium am Platz zu verderben.“
Dieser Ratschlag ist recht pragmatisch. Er macht aber auch nachdenklich. Kann also die Zeitung vor Ort tun und lassen was sie will? Sehr oft hat sie ja tatsächlich eine Monopolstellung in Sachen Meinungsmache inne. Und wer wird schon leugnen können, dass Besitzer und Herausgeber tendenziell eine politische oder gesellschaftliche Richtung vertreten. Dass die SPD an der Sächsischen Zeitung mit 40 Prozent beteiligt ist, hat im konkreten Fall dem neuen Genossen Alexander Ahrens allerdings nicht geholfen. Ohne es hier an die große Glocke zu hängen: Bei Schiller heißt es „Der Wahn ist kurz, die Reu‘ ist lang.“
Doch zurück zum „Flurfunk“, der konstatiert: „Es gibt im Übrigen beim Verhältnis von Medien und Politik keine Bringe- und auch keine Holschuld: Wenn der OB unzufrieden mit den Informationsstand der Zeitung ist, kann er ja auch jederzeit problemlos in die Offensive gehen!“ Auch in der Stadt Bautzen gibt es – neben der „SZ“ – dafür Möglichkeiten: die Pressestelle, die Pressemitteilungen, das Amtsblatt und insbesondere die Homepage der Stadt. Wenn es dort weniger kommunale Hofberichterstattung in Wort und Bild gibt (inzwischen weiß doch jeder, wie der OB Ahrens aussieht), dafür mehr sachbezogene Informationen, detaillierte Auskünfte zu städtischen Vorhaben und auch einen offenen Meinungsaustausch zwischen Stadtverwaltung, Stadtrat und vor allem den Bürgern, dann muss keiner mehr Offene Briefe schreiben.
Alexander Ahrens ist kein Donald Trump, der zu gern per Twitter die USA oder sogar die Welt regieren will. Zumal der Bautzener OB kaum mit 140 Zeichen auskommen dürfte … Obwohl es heißt, der Zorn ist eine kurze Raserei, also „Ira furior brevis est“. Zur Erklärung: Dieses lateinische Zitat stand gewissermaßen als Motto über dem verbalen Kniefall von Alexander Ahrens vor der Sächsischen Zeitung.
Hans-Georg Prause
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