„Eine Meinung bilde ich mir selbst“

Nein, es ist kein Zitat aus der Rubrik „Leserbriefe“ der lokalen „SZ“ oder einer anderen Zeitung. „Ich brauche Informationen. Eine Meinung bilde ich mir selbst.“ Das forderte Charles...

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Nein, es ist kein Zitat aus der Rubrik „Leserbriefe“ der lokalen „SZ“ oder einer anderen Zeitung. „Ich brauche Informationen. Eine Meinung bilde ich mir selbst.“ Das forderte Charles Dickens von der Presse. Und der lebte bekanntlich in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Was auch zeigt: So lange es die öffentlichen Medien gibt, so lange gibt es auch die eher beiläufige Meinungsmache bis hin zur offenen Manipulation. Zu diesem Thema sprach kürzlich der Film- und Fernsehwissenschaftler Wilhelm Domke-Schulz in einem Vortrag der Bautzener Veranstaltungsreihe „Von Bürgern für Bürger“ im „Residence“ im Gewerbegebiet an der Wilthener Straße.

Sich auf die Medien einzulassen, das ist seiner Meinung nach seit jeher eine Frage des guten Glaubens und des vollen Vertrauens. Denn über was und wie darüber informiert wird, das entscheidet nun mal nicht der Leser, der Radiohörer, der Fernsehzuschauer. Umso mehr muss er es lernen, mit dem umzugehen, was ihm da so alles an Meldungen, Berichten, Reportagen offeriert wird. Zumal dabei nicht selten die Übergänge zu subjektiven Sichtweisen recht fließend sind. Von der Auswahl, der Aufmachung, der Ausführlichkeit ganz zu schweigen. Medienkompetenz heißt das Stichwort. Sie zu erwerben, hat viel mit Erfahrungen zu tun; viele Menschen haben da wohl nicht die besten gemacht. Eine Anfang dieses Jahres veröffentlichte Forsa-Umfrage im Auftrag der Mediengruppe RTL hat jedenfalls ergeben, dass in den neuen Bundesländern nur 16 Prozent der Menschen dem Fernsehen, nur 27 Prozent der Presse (also Zeitungen) und 41 Prozent dem Radio vertrauen. Das sind nicht wirklich viele. Da ist es doch gut (auch wenn es wie bestellt wirkt), dass der „Spiegel“ nur einen Monat danach auf eine neue Langzeitstudie verweisen und melden kann: „Vertrauen in die Medien steigt wieder“. Demnach vertrauen 42 Prozent der Deutschen etablierten Medien in wichtigen Fragen. 17 Prozent äußern grundsätzliches Misstrauen, 41 Prozent nehmen eine Zwischenposition ein. Warum sich trotzdem „ein Trend der Entfremdung zwischen Medien und Nutzern“ fortsetzt, erläutert das die Daten erhebende Institut für Publizistik der Uni Mainz allerdings nicht. „36 Prozent der Befragten gaben an, gesellschaftliche Zustände in ihrem Umfeld ganz anders wahrzunehmen, als von Medien dargestellt. 24 Prozent sagten, die Themen, die ihnen wichtig seien, würden von Medienangeboten nicht dargestellt.“

Ab und an ist es gut, daran erinnert zu werden, dass es ziemlich blauäugig ist, von einer unabhängigen Presse zu sprechen. Wer wegen geschichtlicher Bedenken nicht von einer Gleichschaltung sprechen möchte, kann stattdessen auf die enorme Konzentration der Medien in den Händen von nur wenigen Unternehmern und deren engste Verflechtungen mit der ganz großen Politik verweisen. Die so oft gepriesene mediale Vielfalt ist eigentlich nur eine scheinbare. Sie ist auch wahrlich nicht frei von weltanschaulichen Prämissen, doch stets geht es vor allem ums Geschäft und das nicht erst seit heute. Geradezu legendär ist die Anekdote um den Medienmogul William Randolph Hearst zu Zeiten des Spanisch-Amerikanischen Krieges (1898). Die Berichterstattung von Kriegsschauplätzen sollte die Auflage steigern und mit der US-Regierung ging er dabei auch konform. Also ließ er seinem Korrespondenten auf Kuba telegrafieren: „Sie sorgen für die Bilder, ich sorge für den Krieg.“ Das war damals. Heute ist es Syrien und sind es – nur ein aktuelles Beispiel – die Videofilme der Weißhelme.

Nicht anders war es vor einigen Jahren bei den Auseinandersetzungen auf dem Maidan in Kiew. In seinem Vortrag belegte Wilhelm Domke-Schulz am Beispiel der Berichterstattung der ARD über den Putsch in der Ukraine, wie einseitig darüber in Tagesschau und Tagesthemen „informiert“ wurde. So sei etwa die Beteiligung von faschistischen Gruppierungen an diesem Umsturz stets unterschlagen worden. Der Fernsehzuschauer, der angeblich in der ersten Reihe sitzt, erfährt davon also nichts. Und dass er mit dem zweiten Auge besser, d.h. beim ZDF wirklich mehr sieht, darf auch bezweifelt werden.

Mit William Shakespeare muss man nun fragen, ob das noch Tollheit (madness) ist oder schon Methode. Der Ex-Innenminister Thomas de Maiziere würde dazu sagen: „Ein Teil dieser Antwort würde vielleicht die Bevölkerung verunsichern.“ Tja, wie sage ich’s dann meinem Kind, in dem Fall also dem Bürger, dem Alle-vier-Jahre-Wähler? Vielleicht so schonend wie nur möglich. So geht es laut Angela Merkel im neuen Staatshaushalt bei den erhöhten Ausgaben für das Militär (und es dürfte sogar noch mehr werden, denn US-Präsident Trump, NATO-Generalsekretär Stoltenberg und Ursula von der Leyen als Mutter der Kompanie lassen bestimmt nicht locker) eben nicht um Aufrüstung sondern lediglich Ausrüstung. Also wenn das kein Neusprech ist! Das passt in die Reihe der Verharmlosungen in den Medien wie die Grabscher für teils massive sexuelle Belästigung oder die Schubser für brutale Gewalttätigkeiten. Doch damit die Berichterstattung ausgewogen bleibt, holt man andererseits gern mal die verbale Keule raus, also den Nazi, den Rassisten. (Ja, das ist blanke Ironie.)

Aber vielleicht ist das alles doch nur gut gemeint! Nun, dann ist es nicht gut gemacht. In manchen journalistischen Beiträgen den Oberlehrer zu verspüren, ist vergleichsweise harmlos. Dass hinter jeder Veröffentlichung auch ganz subjektiv gesehen eine Meinung steht, kann auch akzeptiert werden. Da ist einfach das Mitdenken des Rezipienten gefragt. Was aber, wenn es in Meinungsmache ausartet und in blanker Manipulation endet? Als zum Beispiel Donald Trump in Davos Ende Januar beim Weltwirtschaftsgipfel sprach, soll es einige Buhrufe wegen dessen Journalisten-Schelte gegeben haben. Damit das ja keiner verpasst, drehte die „Tagesschau“ bei ihrem Bericht den Ton gleich mal etwas lauter auf. Bei der fälligen Entschuldigung wurde das halbherzig zur „technischen Verstärkung“ erklärt. Nach wirklichem Unrechtsbewusstsein sah das nicht aus. „Dafür macht Ihr dann beim nächsten Merkel-Auftritt die Buhrufe etwas leiser. So kennen und lieben wir Euch“, lautete dazu ein wunderbar ironischer Kommentar bei Twitter.

Ja, das weltweite Internet und die sozialen Medien haben nicht nur Hass und Hetze parat, wie jene behaupten, die zwar angeblich für eine freie Meinungsäußerung sind, diese aber sofort diskreditieren, wenn das eigene Weltbild nicht bestätigt wird. Und weil das allein nicht ausreicht, soll kontrolliert, reguliert und abgestraft werden. Doch das dafür geschaffene Netzwerkdurchsetzungs(oder besser -durchsuchungs?)gesetz stößt auf viel Kritik, auch und gerade bei Journalisten. Dass sich autoritäre Länder, autoritäre Regime durch dieses Netzwerkdurchsetzungsgesetz inspiriert fühlen könnten, befürchtete zum Beispiel Christian Mihr, der Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“. Diese Befürchtungen haben sich seiner Aussage nach auch bewahrheitet.

Wo aber, zum Teufel, bleibt das Positive? Schon der Dichter Erich Kästner, ein gebürtiger Dresdner, konnte seinen Mitmenschen da wenig Hoffnung machen: „Ich will nicht schwindeln. Ich werde nicht schwindeln. Die Zeit ist schwarz, ich mache euch nichts weis.“ Auch Wilhelm Domke-Schulz würzte vor den Bautzener Zuhörern seine Ausführungen mit einigen sarkastischen Anmerkungen. Selbst sein quasi Schlusswort war nicht so zuversichtlich gemeint, wie es gesagt wurde: „Eine Zensur findet nicht statt!“ Warum auch, so Domke-Schulz, wenn alle auf Linie liegen.

Hans-Georg Prause

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