Was so ein richtiger Schnellschuss ist, der geht oft daneben. Oder sogar nach hinten los. In Bautzen gab es am Abend des 1. November einige Vorfälle, an denen Ausländer beteiligt waren. Noch vor Mitternacht, genau 23:27 Uhr, war bei „ZEIT online“ zu lesen: „Rechtsextreme machen wieder Hetzjagd auf Flüchtlinge“.
Insbesondere für eine Wochenzeitung fällt das fast unter die Rubrik „Eilmeldung“. Aber ein Reporter, dessen Name übrigens ungenannt bleibt, sei eben zufällig vor Ort und also Zeuge gewesen. Die Auskunft der Polizei, dass zu dem Zeitpunkt in der Stadt nichts Besonderes los war, wurde zwar im Artikel vermerkt, gründlicher recherchiert wurde deshalb aber nicht. (Oder sollte der hinterlegte Google-Map-Link zum „Holzmarkt“ das suggerieren?) Die Folge dieser Nachlässigkeit: Nur 13 Stunden später musste man sich korrigieren: „Eine Hetzjagd hat nicht stattgefunden“. Dass es auch in diesem Folgebeitrag noch einige Ungereimtheiten gab, sei hier außen vor gelassen. Was soll denn auch dabei heraus kommen, wenn man sich auf Quellen beruft wie „ein Schüler, der zufällig vor Ort war“.
Was allerdings mit der Erstmeldung erreicht wurde (erreicht werden sollte?), war die „Fütterung“ der oft gar nicht so „sozialen“ Medien wie Facebook und Twitter. Denn was ein richtiger Shitstorm werden will, braucht dafür Material. Am besten eignen sich halbgare und unverdaute Informationen. So unappetitlich das ist: Was dabei herauskommt, kann am konkreten Beispiel Don Alphonso erklären. Wer diesen Blogger noch nicht kennt, der sollte ihn kennen lernen. Zu finden sind seine Kolumnen auf der Homepage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der jüngste Beitrag widmet sich Bautzen. Er beginnt mit den Worten: „Wenn eine Geschichte zu gut klingt, ist daran etwas faul. Das ist eine der Lektionen, die ich im Journalismus gelernt habe, und die auch viele andere in den letzten zwei Jahren verstanden haben sollten. …“
Der Don (alias Rainer Meyer) schaut genau hin, wer da was twittert, wer da wieder über Sachsen, über Bautzen, über die Polizei her zieht. Und das mit Schlagworten wie „Menschenjagd“ und „Pogromstimmung“ und Äußerungen wie „… abreißen das scheiß kaff. dem erdboden gleich machen.“ Wo nur ist die Internet-Polizei von Herrn Maas (https://www.heise.de/newsticker/meldung/Hasskommentare-Justizminister-Maas-liebaeugelt-mit-verschaerfter-Haftung-fuer-Facebook-und-Co-3331837.html) und Frau Kahane (http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/die-stiftung-aktiv/projekte/no-nazi-net/) , wenn man sie mal braucht? Aber klar, das ist kein Hate Speech, keine Hassrede, das kommt doch von den Guten.
Selbst die lokale Tageszeitung musste sich bereits am Morgen des 2. November nach den vorabendlichen Vorfällen in Bautzen auf ihrer Facebook-Seite recht provozierend fragen lassen, warum denn die „ZEIT“, aber nicht die „SZ“ darüber berichtet. Die souveräne Antwort der Redaktion: Sie verweist auf das Dementi der Polizei und auf die wenig belastbare Quelle des „ZEIT“-Artikels. „Wir werden daher erst berichten, wenn gesicherte Informationen vorliegen.“ Was dann an den folgenden Tagen auch getan wurde. Mit den Fragezeichen an der richtigen Stelle. Keiner mag bekanntlich Besserwisser.
In der Diskussion um die jüngsten Vorfälle in Bautzen gab es auch eine Wortmeldung, die man so nicht erwartet hatte. Auf der Homepage des Redaktionsbüros Uwe Menschner – die zwar noch Gerichtsreport Bautzen heißt, aber inzwischen mehr als das ist – wurde zeitnah der Bautzener Landrat Michael Harig u.a. mit folgender Aussage zitiert. „Die Diskussion muss versachlicht werden. Es gibt Übertreibungen auf allen Ebenen, was uns nicht gut tut … Wegen des jüngsten
Aber sollten sich alle Willkommensfreunde nicht wenigstens darüber zutiefst empören, dass in der Bautzener „SZ“ ungestraft geschrieben werden darf, dass minderjährige Flüchtlinge, die „auf Krawall gebürstet“ sind, weggeschickt oder weggesperrt werden sollen? Nun, das wird wohl nicht passieren. Es wird auch kaum eine überregionale Zeitung aus dem Beitrag zitieren. Denn in dem Fall lässt sich diese Forderung nicht einfach als Fremdenfeindlichkeit abstempeln. Es sind selbst Asylbewerber, welche Klartext reden: „Diese Jungs sind außer Kontrolle“. Die erwachsenen Männer, teils mit Familie, wollen nicht, dass sie „mit gewalttätigen Flüchtlingen in eine Schublade gesteckt werden“. Hier ein kurzer Auszug aus dem SZ-Beitrag: „Sie hören auf niemanden und halten sich an keine Regeln. Auch, weil sie sehen, dass die Polizei nichts machen kann“, erklärt Firas Al Habbal. Für den 23-jährigen Syrer Ahmad Khaloussie gibt es nur eine Lösung: „Die Jugendlichen sollten weggeschickt werden.“ Firas Al Habbal stimmt ihm zu: „Man sollte diese Leute zurückschicken. Sie haben hier nichts zu suchen.“ Peter Rausch, der Betreiber des Spreehotels (jetzt Flüchtlingsunterkunft / hgp), weiß, dass gerade minderjährige Flüchtlinge nicht abgeschoben werden können. In anderen Bundesländern gebe es geschlossene Anstalten für die ganz schwierigen Fälle. Nur so bekäme man die Jungs in Griff, meint Rausch.
Das sind ungewohnt offene Worte, die da tatsächlich abgedruckt wurden. Und hinter ihnen stehen Namen und Gesichter. Daraus erwächst Glaubwürdigkeit. Für den Medienwissenschaftler Matthias Kohring wäre das bestimmt ein guter Beleg für seine Feststellung: „Man kann nur etwas zeigen, was man recherchiert und überprüft hat. Das beste Mittel, um Vertrauen zu schaffen, ist zuzugeben, dass man selbst auch fehlbar ist. … Über längere Zeit kann das dazu führen, dass man die Menschen wieder zurückgewinnen kann, die das Vertrauen verloren haben.“
Wem jetzt spontan die Idee kommt, dieses Zitat sollte man an die „ZEIT“ schicken, dem sei gesagt: Es ist aus der „ZEIT“ . Der Beitrag war überschrieben mit „Die Radikalisierung der Politik hat sich auf die Medien übertragen“. Was sicherlich das Internet ganz allgemein sowie Facebook und Twitter im Besonderen mit einschließt.
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