Diesen Satz muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: „Bei ihren Prognosen haben sich die Bildungsexperten verschätzt.“ Zu lesen war das kürzlich bei WELT online. Experten also! Die sich verschätzt haben! Man könnte glauben, dass die Kultusminister der Bundesländer in eine Glaskugel schauen oder im Kaffeesatz rühren, wenn es um Schule und Bildung, um Kinder und Lehrer geht. „Prognosen sind äußerst schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen“; wer auch immer das augenzwinkernd formuliert hat – das Thema ist viel zu ernst für so einen Spruch.
„Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung steigen die Schülerzahlen in Deutschland bis zum Jahr 2030 viel stärker an als bislang angenommen.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Die Zahl der Geburten in Deutschland nimmt seit mehreren Jahren kontinuierlich zu. „Fünfmal in Folge“, betont der Studienautor Dirk Zorn. Zudem ist die Zahl der Zuwanderer höher, als seinerzeit erwartet wurde. Selbst wenn Deutschland nun vielleicht nicht gleich ein „Bildungschaos droht“, wie WELT online schreibt, müssen viele Bundesländer „komplett umdenken“. Der Freistaat Sachsen dürfte da keine Ausnahme sein. Bautzen ist auch mit betroffen. Die Stadt braucht eine neue Grundschule.
Solche demografischen Probleme entstehen nicht über Nacht. Hat da etwa jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht? Laut der aktuellen Studie sind die Kultusminister zu lange von überholten Zahlen ausgegangen. Dabei war der Trend absehbar. Man hätte nur Zeitung lesen müssen. Vor einem Jahr stellte ZEIT online folgende Zahlen zusammen: Im Jahr 2015 wurden 738 000 Kinder geboren. Das waren 23 000 Neugeborene oder 3,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Damit erreicht die Geburtenzahl zugleich den höchsten Wert seit dem Jahr 2000. (Angemerkt sei hier, dass Sachsen mit 1,57 Kindern pro Frau bundesweit Spitze bei der Geburtenrate ist.) Aber zugegeben, eine große Unbekannte war und bleibt die seit 2015 über viele Monate hin unkontrolliert erfolgte Zuwanderung. Dass so etwas passieren würde, damit konnte – im doppelten Sinne – kein vernünftiger Mensch rechnen. Die Bertelsmann-Studie versucht das jetzt. Obwohl noch nicht mal ein Schlussstrich darunter gezogen werden kann – Stichwort: Familiennachzug bei Migranten. Jörg Dräger ist Vorstand der Stiftung. Er spricht von einem „enormen Handlungsdruck“, den dieser „Schüler-Boom“ erzeugt.
Mächtig unter Druck stehen muss auch das sächsische Kultusministerium. Schon bald beginnt das neue Schuljahr, doch es werden noch immer Lehrer gesucht. Unbesetzte Stellen gibt es vor allem an Grund- und Oberschulen. Gerade dort, wo die Schülerzahlen zuerst ansteigen werden. Auch für Förderschulen fehlen Lehrkräfte. In diesen Schulstufen sollen nun Gymnasiallehrer einspringen. Für diese gibt es demnach derzeit in Sachsen nicht genug Arbeitsplätze. Von einer „Last-Minute-Offensive“ schrieb die „Sächsische Zeitung“. Kultusministerin Brunhild Kurth hatte bereits für teils heftige Diskussionen mit der Aktion zur Gewinnung von Seiteneinsteigern für den Lehrerberuf gesorgt. Werden eventuell bei der Lehrerausbildung falsche Prämissen gesetzt? Vorsicht, über kurz oder lang kann sich der Personalmangel verlagern. Hunderte Gymnasiallehrer stehen kurz vor dem Ruhestand. Aber auch das weiß man nicht erst seit heute. Sogar konkrete Zahlen liegen vor. Man muss nur rechtzeitig darauf reagieren. Es bringt nichts, immer wieder nachsitzen zu müssen.
Die Art und Weise, wie bei der Personalplanung agiert wird, hat jedoch Ähnlichkeit mit der Redewendung „von der Hand in den Mund leben“. Umso unverständlicher ist es, dass sich das Kultusministerium selbst der Chancen berauben will, dringende Fragen gleich vor Ort klären zu lassen. Die Regionalstelle der Bildungsagentur in Bautzen soll (wie auch die in Zwickau) aufgelöst werden. Favorisiert wird stattdessen ein auf die drei sächsischen Großstädte verteiltes Landesamt. Der sogenannte ländliche Raum bleibt künftig außen vor. Das hat den Vorteil (Ironie!), dass die Probleme dann ein Stückchen weiter weg von den ministerialen Schreibtischen sind. An diesen dürfte man die Proteste von kommunalen Politikern und Abgeordneten sowie die Kritik aus den Reihen der Lehrergewerkschaft einmal mehr locker aussitzen. Unruhe in der sächsischen Lehrerschaft ist für das Ministerium nun wahrlich nichts Neues.
Kurzum, es wird also bald mehr Schüler geben, deshalb werden noch mehr Lehrer gebraucht. Denn was es bereits viel zu viel gibt, sind zu große Klassen, ausgefallene Schulstunden und reduzierte Unterrichtsstoffe. Das alles ist letztlich irgendwie Ländersache. Die Kommunen müssen es nur unter Dach und Fach bringen, also Schulen bauen. In Bautzen ist es eine weitere Grundschule, die dringend gebraucht wird. Das weiß man allerdings nicht erst seit heute. Doch die Diskussion über eine neue Schule in der Innenstadt verlief sich irgendwann im Nirgendwo von Stadtverwaltung und Stadtrat.
Es ist ohne Frage von Vorteil, dass nun bereits konkrete Adressen im Gespräch sind. Zwei davon werden favorisiert: Die Gebäude einer ehemaligen Berufsschule, gelegen ein gutes Stück stadtauswärts an der Löbauer Straße, sowie ein Neubau auf der sogenannten Perfecta-Brache an der Dr.-Peter-Jordan-Straße nahe des Bahnhofs. Für beide Standorte (und noch andere) gibt es Für und Wider. Gerade deshalb bietet sich nun der Stadt Bautzen eine gute Gelegenheit, die Bürger und die Stadträte von Anfang an und in aller Offenheit in eine umfassende Aussprache darüber einzubeziehen. Umfragen, Versammlungen, Online-Foren, öffentliche Ortstermine – der bürgernahen Möglichkeiten gibt es viele. Die Bautzener könnten sich so ernst genommen fühlen. Und dabei hoffen, dass sie ihr Gefühl nicht trügt.
Die lokale „SZ“ hat unlängst bereits die Fakten als Grundlage für eine Bürgerdiskussion recherchiert. Demnach würde die Stadtverwaltung gern die ehemalige Berufsschule nutzen. Dass diese Variante schon rein zeitlich gesehen am schnellsten umgesetzt werden könnte, ist selbst für den Außenstehenden nachvollziehbar. Aber unterschwellig mit dem zeitlichen Druck zu argumentieren, obwohl man selbst die Suche nach einem neuen Grundschulstandort über viele Monate hat schleifen lassen, wird nicht jedem gefallen. Doch es gibt auch harte Fakten wie z.B. die unpraktische Stadtrandlage und der nicht unkomplizierte Schulweg. Dagegen hat der Gedanke, die grüne Wiese an der Jordan-Straße mit einer modernen Schule zu bebauen, etwas Verführerisches. Zumal damit die Auflagen, diese Fläche auf Jahre hin nicht sinnvoll nutzen zu dürfen, umgangen werden könnten. Das Wohnviertel würde aufgewertet, was gut zum Um- und Ausbau des Bahnhofs passt. Wenn die Zeppelinstraße keine Brückenbaustelle mehr ist, wird es zudem weniger Straßenverkehr geben.
Ja, wie unschwer zu erkennen ist, hat der Autor dieser Zeilen bereits seine ganz persönliche Vorauswahl getroffen. Bislang ist aber noch recht wenig bekannt. Da heißt es offen bleiben. Der „Bautzener Bote“ wird dieses Thema redaktionell weiter verfolgen. Die Leser können gern via Facebook diskutieren, wo denn ihrer Meinung nach eine neue Bautzener Grundschule stehen sollte.