„In unserer Stadt beißt das Virus auf Granit – haltet durch!“ Das schwarz-gelbe Banner mit dieser Aufschrift war mehrere Meter lang und so hoch wie das Geländer der Friedensbrücke in Bautzen, an dem es angebracht worden war. Flankiert wurde dieser aufmunternde Anti-Corona-Spruch von zwei Dynamo Dresden-Vereinslogos. Wie sich zeigt, haben Fußballfans, selbst wenn sie sich Ultras nennen, mehr im Kopf als nur den Fußball. Manch einer wird ihnen nun vielleicht im Stillen Abbitte tun.
Es soll Leute geben, die da glauben, bereits diese ersten Wochen der Pandemie hätten etwas mit uns getan, hätten uns verändert. Und sie meinen damit zum Positiven, sozusagen dem Covid 19-Virus zum Trotz. Man möchte gern diese Meinung teilen. Die Bautzener – diese Verallgemeinerung sei hier gestattet – neigen bekanntlich kaum zu Panikattacken. Sie ruhen in sich. Solange man sie in Ruhe lässt. Was nicht heißt, dass alles ohne Kritik hingenommen wird. Auch nicht einige der jetzt geltenden Restriktionen zur Eindämmung der Corona-Krise.
Dabei lassen wir hier mal die „große“ Politik außen vor; das ist ein Thema für sich und eine eigene Kolumne. Deren Motto könnte lauten: „Leben ist eine Kunst, taugliche Schlussfolgerungen aus unzureichenden Prämissen zu ziehen.“ (Samuel Butler, britischer Schriftsteller, 1835-1902) Demnach sitzen im Bundeskanzleramt eher untaugliche Lebenskünstler. Was sie nicht vor dem Bismarckschen Diktum schützt: „Es gibt keine Handlung, für die niemand verantwortlich wäre.“ Deshalb sollte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) unbedingt beim Wort genommen werden. Bei einer „Hart aber fair“-Extrasendung im Fernsehen tönte er noch Mitte März: „Wir haben so viele Reserven, dass wir versprechen können, dass wir alles tun, damit kein Arbeitsplatz und kein gesundes Unternehmen wegen Corona verloren geht und schließen muss.“
Kein Kino, kein Theater, keine Konzerte – das muss nicht groß hinterfragt werden. Kontrollierter Zugang beim Einkauf und die Durchführung von Desinfektionen – da fragt man sich eher: Warum erst jetzt? Was aber sollte die Absage der wöchentlichen Grünmärkte in der Stadt? Wer dabei mit der Ansammlung von zu vielen Menschen auf einem Platz argumentierte, der hatte selbst noch nie so einen Markttag erlebt. Und er (oder sie) dachte dabei nicht an die Kleinerzeuger, die um den Lohn ihrer mühsamen Arbeit gebracht worden wären. Ebenso nicht an die sozialen Kontakte, was nicht Umarmungen und Händeschütteln meint, die man rigoros unterbunden hätte.
Ein Verbot, das recht kurzfristig kam. Es darf vermutet werden, dass die sächsische Regierung bei ihrer Zeitungsschau auf diese dumme Idee kam. In Dresden und Leipzig hatten es die städtischen Ämter nicht geschafft, ihre großen Markttage so zu organisieren, dass sie den behördlichen Anordnungen entsprachen. Anstatt das dort vor Ort zu klären, wurde die große Keule geschwungen. Diese traf dann auch Bautzen und andere kleinere Städte. Und vor allem die regionale Erzeuger aus dem ländlichen Raum.
Dabei könnten gerade diese zunehmend an Bedeutung gewinnen. Kürzlich warnte die Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) davor, dass besonders Obst und Gemüse knapp werden könnten. Die Versorgungsketten für Lebensmittel müssen im Takt gehalten werden: „Was nicht gesät, gepflanzt, geerntet, verarbeitet und transportiert wird, fehlt am Ende zur Versorgung unserer Bevölkerung.“ Wenn jetzt nicht Gemüse gepflanzt werde, würde der „Markt ab Mai leiden“, so wird sie bei t-online zitiert. Weiter heißt es dort: „Unser Selbstversorgungsgrad liegt bei einigen Grundnahrungsmitteln über 100 Prozent“, so die Ministerin, bei Obst und Gemüse aber nur unter 40 Prozent.
Dass in Sachsen nun urplötzlich wieder Wochenmärkte erlaubt sind, umschreibt Umweltminister Wolfram Günther (Grüne) in einem „SZ“-Interview (31. März) mit dem Begriff „nachsteuern“. Einfach mal einen Fehler einzugestehen, dass ist wohl nicht drin.
Besonders hart, wenn nicht noch härter, trifft die verordnete Kontaktsperre die kleinen Geschäfte in der Stadt mit den Waren des täglichen Bedarfs. Bei den Kaufhallen stehen die Kunden diszipliniert in Reihen an – davor und an den Kassen. Warum soll das im innerstädtischen Kleinhandel nicht ebenso funktionieren? Für eine Zugangsbeschränkung reicht ein Zettel an die Tür: Bitte nicht mehr als drei Personen gleichzeitig. Das ist einfach. Vielleicht ist es auch zu einfach gedacht. Aber größere Umstände macht’s nur, wenn man es zu umständlich macht. Die Sorgen über das Geschäftesterben gab es bereits zu „normalen“ Zeiten. Nach der Pandemie wird das Klagen zum Himmel schreien!
An dieser Stelle könnte man gleich noch fragen, warum bei uns, also konkret in Bautzen, der OBI Bau- und Gartenmarkt geschlossen hat, im thüringischen Erfurt aber bei OBI – mit den bekannten Einschränkungen – eingekauft werden kann. Es wird Frühling, der Kleingarten ruft. Auch an Haus und Hof ist was zu tun. In schwierigen Zeiten die Leute zu beschäftigen, damit sie auf andere Gedanken kommen, hat wenig mit großer Psychologie zu tun. Das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. In Dresden können wenigstens Handwerker und Gewerbetreibende in einigen Baumärkten einkaufen. Diese Teilöffnung sollte ausbaufähig sein.
Um Einschränkungen bei Ausgang und Kontakt kommen wir noch einige Wochen nicht herum. Diese sind wohl erforderlich. Die gleichzeitige Lähmung jedes gesellschaftlichen Lebens ist es jedoch nicht. Das anfängliche Verständnis dürfte alsbald aufgebraucht sein. Einige der Maßnahmen werden bereits als maßlos empfunden. Selbst wer sich mit Klopapier eingedeckt hat, hält die Lage – ob nun doppelt oder dreifach – für besch…eiden.
Schon immer ist der Alltag der meisten Menschen „ein stilles Heldentum in Raten“. In Krisenzeiten trifft das besonders zu. Sie sind ein wenig pathetisch, diese Worte von Anna Magnani (1903-1973). Doch die Italienerin war ja auch Schauspielerin. Die Bautzener Dynamo-Fans haben eher die Losung dieser Tage gefunden. Deshalb sei sie hier wiederholt: „In unserer Stadt beißt das Virus auf Granit – haltet durch!“