„Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“ Diese Redensart, frei nach Wilhelm Busch, fällt einem unwillkürlich ein, wenn man die Diskussion um eine neue Grundschule für Bautzen verfolgt. Aber wurde darüber nicht schon genug geredet? Gab es nicht bereits eine Einigung über deren künftigen Standort? Jetzt heißt es jedoch: Alles auf Anfang. Mehr noch, es soll sogar ein ganzes Stück weiter zurückgehen. Wurde zu Beginn dieses Jahres gefragt, wo gebaut werden soll, so wird nun unvermittelt die Frage gestellt, ob das überhaupt sein muss. Es ist aber kaum zu glauben, dass sich die Situation innerhalb nur eines knappen Jahres tatsächlich so maßgeblich verändert hat.
Im Rathaus ist man jedoch plötzlich der Meinung, die künftigen Grundschüler könne man in den kommenden Jahren auch noch in den bereits vorhandenen Schulen unterbringen; in absehbarer Zeit würden es sowieso weniger werden. Ganz pauschal gesehen stimmt das vielleicht. So teilte die Stadtverwaltung Ende Februar 2018 mit, dass die Zahl der Einwohner nach zwei Jahren des leichten Zuwachses 2017 wieder gesunken sei. Und mit Blick auf künftig Grundschüler: „Auch kamen weniger Kinder zur Welt.“ Na also, wird manch einer nun sagen, wozu eine neue Grundschule, wenn das der Trend ist. Doch ganz so eindeutig ist das alles eben nicht.
Nur einen Monat später, also im März dieses Jahres, waren aus dem Rathaus viel optimistischere Töne zu hören: „Bautzener Eltern bekennen sich offensichtlich weiter zum Nachwuchs. Das lässt sich aus einem Vergleich der Geburtenziffern vergangener Jahre ablesen. 2017 erblickten 376 Mädchen und Jungen das Licht der Bautzener Welt. Statistisch betrachtet bekam jede Frau im Alter zwischen 15 und 45 Jahren 1,96 Kinder. Damit liegt die Geburtenziffer in der Spreestadt weit über dem deutschen Durchschnitt von etwa 1,5. Im Vergleich zum Vorjahr sank diese statistische Größe zwar um 0,24 Punkte, liegt aber immer noch weit über dem Durchschnitt und sogar über der vergleichbaren Kennziffer des Nachwendejahres 1990. Damals lag die Geburtenziffer in Bautzen bei 1,47.“
Bei solch guten Nachrichten sei der Stadtverwaltung auch ein wenig Eigenlob zugestanden. In jener Mitteilung hieß es zudem: „Neben persönlichen Situationen spielen sicherlich auch die kinderfreundlichen Gegebenheiten in Bautzen eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung für Nachwuchs und pro Familie.“ Im Juli machte gleich noch eine gute Kunde die Runde. Die Statistikstelle der Stadt veröffentlichte Zahlen über einen etwas längeren Zeitraum. Demnach hatte Bautzen innerhalb der vergangenen fünf Jahre 750 Einwohner mehr gewonnen als verloren. Und es seien „vor allem mehr Jugendliche im Alter zwischen 15 und 27 Jahren nach Bautzen gezogen“.
Sicherlich muss man das im Detail betrachten. Eine der Fragen ist dabei der Anteil der Asylbewerber, also deren Kommen und Gehen. Doch alles in allem gibt es keinen Grund, sich damit abzufinden, dass „Bautzen schrumpft“, wie es seinerzeit eine Zeitung etwas unschön in einer Überschrift formulierte. Vielmehr muss noch mehr getan werden, um die Stadt attraktiver für junge Familien zu gestalten. Dazu gehören zum Beispiel genügend und gute Plätze in modernen Grundschulen. Dagegen ist es der Sache abträglich, ein reines Rechenexempel zu statuieren, welches den jüngsten Schulkindern zumutet, auf einige Jahre hin in mehr oder weniger beengten Verhältnissen zu lernen.
Nun ist es einem Finanzbürgermeister kaum vorzuwerfen, dass er zuerst auf die aktuellen Zahlen schaut. Und das Schlagwort von den Investitionen in die Zukunft beinhaltet eher eine politische Entscheidung. Dafür ist im Rathaus nicht er zuständig. Bekanntlich machte sich Robert Böhmer seinerzeit auch dafür stark, ein nur auf den ersten Blick kostengünstigeres Objekt an der Löbauer Straße, ziemlich stadtauswärts gelegen, als Grundschule zu nutzen. Wie sich zeigen sollte, war das aus ganz sachlichen Gründen nicht drin. Aber er wusste also im Sommer, d.h. vor vier Monaten noch nicht, dass Bautzen eigentlich gar keine neue Schule braucht. Doch Papier ist geduldig und bei Zahlen muss man eben den Dreh raus haben.
Letztlich blieb es in der Standort-Diskussion bei der von den Stadträten mehrheitlich favorisierten Perfecta-Brachfläche an der Dr. Peter Jordan-Straße. Und die Stadtverwaltung akzeptierte. Damals, das war Ende Juni, zitierte die „Sächsische Zeitung“ u.a. Thomas Groß, den Amtsleiter für Bildung und Soziales, mit der Aussage, dass es jetzt schon in den vier städtischen Grundschulen eng zugehen, und dass er sich deshalb ein neues Gebäude mit Turnhalle und Hort, das Platz für etwa 330 Schüler bietet, wünsche. Nicht nur er weiß natürlich, dass Wünsche nicht immer in Erfüllung gehen. Da bedarf es oft noch viel guten Willens. Doch wenn schon viel Geld in die Hand genommen werden muss, dann doch bitte für die Bildung, aber nicht für obskure Projekte wie eine Brücke. Zumal die neue Grundschule bestens in diesen innerstädtischen Bereich passen würde.
Das sah Ende Januar (laut „SZ“) auch Roland Fleischer so, der der SPD-Stadtratsfraktion vorsteht: „Die Fläche ist umrahmt von sozialen Einrichtungen. Außerdem wird das Areal nach dem Bahnhofsumbau noch besser mit Bus und Bahn vernetzt sein.“ Man könnte das inzwischen ergänzen mit dem Verweis auf die Fertigstellung der Zeppelinstraße. Und wäre nicht das nahegelegene ehemalige Schlachthof-Gelände ein möglicher Standort für den Wohnungsneubau im Einzugsgebiet einer künftigen Schule? Außerdem soll dort auch noch das Einkaufszentrum „Husarenhof“ erweitert werden.
„Nach derzeitigen Kenntnissen über die Haushaltslage und den zu erwartenden Fördermitteln müsste dies finanziell durchaus zu stemmen sein“, das erklärt Fleischer seinerzeit mit Blick auf einen Schulneubau in der Südvorstadt. Nur war das eben damals. Inzwischen schwenkte er auf die Linie der Stadtverwaltung ein. Die weitere Abwanderung jüngerer Familien aus der Stadt nimmt er wohl als gegeben hin (siehe „SZ“ vom 24.10.). Da wird kein Gedanke daran verschwendet, dass man solchen Entwicklungen zum Beispiel mit zeitgemäßen Bildungsangeboten entgegenwirken kann. Wenn schon nicht mehr heute, weil zu viel Zeit mit Diskussionen verplempert wurde, dann wenigstens doch zukünftig.
„Prognosen sind äußerst schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.“ Wer auch immer diesen ironischen Satz gesagt oder geschrieben hat, er wurde nicht zufällig zu einem geflügelten Wort. Nur sollte er nicht als Begründung dafür herhalten, sich wichtige Entscheidungen von tagesaktuellen Überlegungen, Mutlosigkeit oder irgendwelchen Hintergedanken diktieren zu lassen. Die sarkastische Empfehlung des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt, dass derjenige, der Visionen hat, zum Arzt gehen müsse, mag ganz originell sein, sie ist deshalb aber nicht unbedingt richtig.
Wenig zu hören zu diesem Thema war bislang von SPD-Oberbürgermeister Alexander Ahrens. Wartet er ab, wie die Würfel fallen, d.h. wie sich die Mehrheit der Stadträte zu diesem Vorhaben stellt? Oder hatte er seinen Genossen Roland Fleischer vorgeschickt, um das politische Terrain zu sondieren? Denn wenn es an der Jordan-Straße zu keinem Schulneubau kommt, dann weiß Ahrens schon lange, was dort passieren könnte: „Das ist eigentlich ein Grundstück, das prädestiniert ist für hochwertigen Wohnungsbau. Diese Wohnungen würde man uns aus den Händen reißen.“ So zumindest äußerte sich der Oberbürgermeister vor rund einem Jahr gegenüber der „Sächsischen Zeitung“. Davon, dass er inzwischen seine Meinung geändert hätte, ist nichts bekannt.
Nun kommt es vor allem darauf an, wie sich der Bautzener Stadtrat positioniert. Es ist eigentlich nur schwer vorstellbar, dass er vom Neubau einer städtischen Grundschule gerade jetzt Abstand nimmt, da es gesellschaftlicher Konsens ist, dass heutzutage die Bildung allerhöchsten Stellenwert besitzen muss. Und das beginnt bei den Jüngsten im Schulbereich.
So weit, so gut. Nachzutragen ist hier noch die Quelle der eingangs verwendeten Redewendung. Sie geht zurück auf einen Passus aus dem Gedicht „Plisch und Plum“ von Wilhelm Busch: „Aber hier, wie überhaupt, kommt es anders, als man glaubt.“ Warum das nicht gleich am Anfang der Kolumne so stand? Na, weil Plisch und Plum natürlich ganz und gar nichts mit Bautzener Kommunalpolitik zu tun haben.
Hans-Georg Prause