Über die Produktion von Straßenbahnwagen für die Dresdner Tram im Waggonbau Bautzen ist an dieser Stelle schon berichtet worden. Beispielsweise wurde ein kombinierter Personen- und Gepäcktriebwagen für die schmalspurige Lockwitztalbahn nach Kreischa 1906 gefertigt, der Endpunkt in Niedersedlitz lag aber damals noch nicht im Dresdner Stadtgebiet. Erstmals 1913 wurde dann eine Serie von immerhin 34 „normalen“ Triebwagen direkt in die Stadt an der Elbe geliefert, 30 Beiwagen 1926. Im Jahre 1931 begann die Zeit der Hechtwagenproduktion, auf die vierachsigen Großen Hechtwagen folgten die zweiachsigen Kleinen. Diese innovativ wie eigenwillig konstruierten Fahrzeuge wurden zur Legende. Durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unterblieb eine weitere Produktion, aber auch die Fortentwicklung der Bauart.
Zu DDR- Zeiten wurden in Bautzen keine Straßenbahnen gebaut. Nach der politischen Wende 1989/ 90, die ja auch eine wirtschaftliche war, entfielen staatlich vorgegebene Pläne und Materialkontingente – mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Die Bautzner Waggonbauer konnten sich an der Modernisierung der bis 1989 aus der CSSR gelieferten Tatra-Straßenbahnwagen beteiligen. Dresdner Fahrzeuge waren nicht dabei, aber eine große Anzahl Berliner Kurzgelenk- Triebwagen KT4D (1993 bis 1997). Besonders für Aufsehen sorgten die für die Stadt Chemnitz umgebauten „klassischen“ T3D – Triebwagen mit dazugehörigen Beiwagen (1992/ 93). Die veränderte Formgestaltung hat die Fahrzeuge auch optisch 20 Jahre jünger gemacht.
Mit den Dresdner Verkehrsbetrieben kam aber doch auch ein Kontakt zustande, nämlich für den Bau neuer Bahnen. Die Straßenbahnfahrzeuge, die heute den Linienverkehr an der Elbe dominieren, sind sogenannte Stadtbahnwagen in Niederflurbauweise. Es sind Gelenkwagen aus mehreren beweglich miteinander verbundenen Teilen mit unterschiedlicher Länge, Aufbau und Achsformel. Durch die einheitlich schwarz- gelbe Farbgebung und ein ähnliches Design sind die verschiedenen Typen vielleicht erst auf den zweiten Blick voneinander zu unterscheiden. Sie haben die Tatra- Bahnen, bei denen ein Zug noch aus mehreren einzelnen Fahrzeugen bestand, mittlerweile fast vollständig abgelöst. Ein wesentliches Argument ihrer Entwicklung und Beschaffung war das niedrige Niveau der Einstiege.
Alle wurden bisher im Waggonbau Bautzen hergestellt, die erste Bauart noch in Lizenz entwickelt. Sie bezog sich auf Bahnen, mit denen man in Mannheim und Ludwigshafen gute Erfahrungen gesammelt hatte. Mit ihnen wurde auch (in Bautzen) die Frontgestaltung als „Delphingesicht“ kreiert und das erste Exemplar des fünfteiligen Triebwagens mit sechs Achsen am 15. Dezember 1995 übergeben – also vor 25 Jahren. Bis 1998 wuchs der Bestand auf 60 Einheiten an, etwa ein Viertel davon sind Zweirichtungsfahrzeuge. Ein solcher Wagen ist ca. 30 Meter lang und kann 184 Fahrgäste befördern. Teilweise wurden diese Triebwagen auch in Doppeltraktion eingesetzt.
Daraus abgeleitet beschaffte die Dresdner Straßenbahn in den Jahren 2001 und 2002 auch 23 siebenteilige Einheiten mit acht Achsen für 256 Fahrgäste mit 41 Metern Länge. Bis heute sind sie alle noch in Betrieb, wenn auch durch den normalen Fahrbetrieb und infolge diverser Unfälle nicht mehr ganz unversehrt. Für die zuerst gelieferten Wagen läuft derzeit bereits die dritte Hauptinstandsetzung – der sehr umfangreiche „Straßenbahn- TÜV“ ist aller acht Jahre fällig – was unter Umständen fast einem Neubau entspricht.
Mehrere Typen sind im Einsatz
Später wich man von diesem Fahrzeuggrundriss wieder ab, denn die starre Lagerung der Achsen unter dem ersten, dritten (und fünften) Fahrzeugteil sorgt für eine extreme Belastung der Gleisanlagen und bietet dem Fahrgast lediglich den Fahrkomfort einer alten zweiachsigen Straßenbahn. (Der Straßenbahnerhumor kann sehr bissig sein, man spricht hier auch von „Schienenfressern“ oder „Schienenfräsen“.) Die nächsten Fahrzeuge waren dann wieder klassische Drehgestellwagen, zwischen 2003 und 2010 ausgeliefert mit zwölf Achsen (43 fünfteilige Einheiten, 45 Meter lang) und acht Achsen (40 dreiteilige Einheiten, 30 Meter lang). Und auch die neuen in Bautzen und Görlitz für die Dresdner Straßenbahn hergstellten fünfteiligen Fahrzeuge werden wieder Drehgstelle haben!
Grundsätzlich müssen bei der Entwicklung von Niederflurstraßenbahnen einige Schwierigkeiten überwunden werden. Durch das geringe Niveau des Fußbodens ist es schon schwer, das Fahrwerk mit Antrieb darunter unterzubringen. Was dann an Fahrzeugsteuerung nicht noch unter den Sitzen angeordnet werden kann, wird in großen Containern auf das Fahrzeugdach ausgelagert. Das ist aber für den Fahrzeugschwerpunkt ungünstig, denn der sollte möglichst tief liegen. (Bei den älteren Bauarten wie Hecht-, Gotha- und Tatrawagen lagen Fahrwerk und Steuerung noch unproblematisch komplett unter dem Fahrzeugboden.)
Die idealerweise angenommene möglichst 100%ige Niederflurigkeit von Straßenbahnen ist technisch eigentlich nicht zu erreichen. In der jüngeren Straßenbahngeschichte gibt es so eine ganze Reihe von „halbgaren“ Antriebskonzepten mit einzeln oder paarweise angetriebenen Losrädern ohne durchgehende Achsverbindung, bis unter das Dach gerissene Fahrzeugkörper oder Fahrwerkskonstruktionen, die für das Rückwärtsfahren nicht taugen. Auch weniger erfahrene Firmen bieten die Straßenbahnentwicklung an – es gilt dann das Bananen- Prinzip: „Das Produkt reift beim Verbraucher“. Schwierig wird es, wenn das billigste Angebot nicht auch das beste ist. Genau so experimentell, wie manchmal die Technik ist, kann auch die Formgestaltung sein: Dann fragt man sich, ob auch auf dem Mars Straßenbahnen fahren!
Die Straßenbahnen aus Bautzen waren schon immer technisch ausgereift und solide, die Formgestaltung ansprechend und bodenständig. Die neuen Dresdner Bahnen sind etwas breiter als ihre Vorgänger, wobei der Wert von 2,65 Metern in anderen Städten schon seit längerer Zeit favorisiert wird. Sie werden ab 2021 ausgeliefert, 43 Meter lang und wieder teilweise als Zweirichtungswagen ausgeführt sein. Die delphinähnliche Frontgestaltung ist inzwischen etwas variiert worden.
Christoph Pohl