Sie haben die (Aus-)Wahl!

Ganz egal, wer gesagt haben soll, dass Wahlen verboten wären, wenn sie etwas ändern könnten (war‘s der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky oder doch Emma Goldmann, eine feministische...

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Ganz egal, wer gesagt haben soll, dass Wahlen verboten wären, wenn sie etwas ändern könnten (war‘s der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky oder doch Emma Goldmann, eine feministische Anarchistin aus den USA?) – schaute man sich dieser Tage in Bautzen um, bestätigt nichts diese pessimistische Aussage. So viel Wahl war lange nicht. Die Parteien sind mit ihren Bewerbern für den Sächsischen Landtag vor Ort. Sie finden dabei durchaus ein Publikum. Mal mehr, mal weniger.

Vielleicht kann man sich des Sprachbildes von der „Abstimmung mit den Füßen“ bedienen. Das gab es schon im alten Rom, Lenin griff es auf (steht bei Wikipedia) und hierzulande hatte es vor dem Mauerbau in Berlin seine Konjunktur. Um danach bei Fällen der sogenannten Republikflucht aus der DDR und später bei der Ausreisewelle gern wiederverwendet zu werden. In Bautzen auf dem Kornmarkt gab’s das kürzlich auch, alles einige Nummern kleiner. Dorthin hatten zuerst die AfD und wenige Tage später die Grünen eingeladen. Beide Parteien traten in namhafter Besetzung auf. Doch es gab einige Unterschiede.

Um auf die Füße zurückzukommen: Die AfD schaffte es, den Platz zwischen Reichenturm und Kesselstraße recht gut zu füllen. Die lokale „SZ“ schrieb von rund 400 Teilnehmern und verwies auf Angaben der Polizei. Dass die Grünen da nicht mithalten konnten, wird keinen überrascht haben. Viel eher die in der Zeitung danach genannten „etwa 200 Zuschauer“. Zugegeben, das ist stets ein wenig „Schätzen Sie mal“; in diesem Fall erinnert das jedoch eher an die ostdeutsche Fernsehsendung „Wünsch Dir was“. Im Vergleich zur Deutschen Welle kommt die „SZ“ aber gut weg. Dieser der ARD zugehörige Auslandsrundfunk setzte gleich mal 300 Besucher in die weite Welt. In einem auch ansonsten in Teilen haarsträubendem Beitrag (hier verlinkt).

Während die AfD in Bautzen zu einer Kundgebung mit drei prominenten Parteimitgliedern aufgerufen hatte, luden die Grünen bei der Sachsen-Tour ihres Shooting Stars Robert Habeck aus Schleswig-Holstein für rund 90 Minuten zu einem „Townhall-Meeting“ ein. Nur fand dieses nicht im Rathaus statt, wie es der aus den USA übernommene Begriff vermuten ließe. Es war schlicht eine Bürgerversammlung im Freien. Wer große Worte gebraucht, will nicht informieren, sondern imponieren, das hatte schon Oskar von Miller erkannt, der Begründer des Deutschen Museums für Technik und Wissenschaft in München.

Es wird den Grünen ja nachgesagt, sie haben es eher mit dem Großen und Ganzen und ganz Allgemeinen. In Bautzen wurde deren Bundesvorsitzender Robert Habeck etwas konkreter, wenn es z.B. um die Klimapolitik und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft ging. Zu Wort kam beim Frage-und-Antwort-Spiel auch der sächsische Spitzenkandidat Wolfram Günther aus Leipzig. Doch man hatte nicht das Gefühl, dass es bei diesem Wahltermin eigentlich um ihn ging. Sonst ist dort dreimal die Woche Grünmarkt; dieses Mal gab es zusätzlich – frei nach William Thackeray – einen kleinen grünen Jahrmarkt der Eitelkeiten. Kontrovers wurde es nie. Man war unter sich. Vielleicht litt die Veranstaltung daran, dass mancher Fragesteller eher wie ein Stichwortgeber für Habeck wirkte.

Eventuell war diese Unaufgeregtheit gar nicht so erwünscht. Wie sonst sind solche Twitter-Eintragungen aus der grünen Sympathisanten-Szene zu verstehen: „Wir wären heute in #Bautzen auch sehr weit gegangen, was das Ertragen des Gegenprotestes angeht. Alles was hörbar ist: okay! Wären Flaschen geflogen: nein! Das war unsere Abmachung!“ Fast ein wenig enttäuscht schließt dieser Tweet mit dem Satz: „Bei uns blieb aber alles entspannt!“

Hörbarer Gegenprotest? Sogar Flaschenwürfe? Da glaubt tatsächlich jemand, was in Endlosschleife von den Öffentlich-rechtlichen Medien über Bautzen kolportiert wird. Selbst bei seinem vorherigen Auftritt in Chemnitz sah sich Habeck lediglich mit „Hau ab!“-Rufen konfrontiert. Und das ist wohl legitim. So legitim wie das, was bei der AfD-Kundgebung auf dem Kornmarkt leicht übersehen werden konnte. Etwa zehn Leute protestierten dort gegen diese Veranstaltung. Selbst der „SZ“ war das wortwörtlich nur eine Rand-Notiz wert.

Die AfD war übrigens mit drei Herren vor Ort, die sich in die Redezeit teilten: Karsten Hilse aus Hoyerswerda zog 2017 als Direktkandidat des Wahlkreises Bautzen I in den Bundestag ein. Der gebürtige Meißener Jörg Urban ist AfD-Landeschef, leitet die Fraktion im Landtag und stellt sich am 1. September in Bautzen zur Wiederwahl. Komplettiert wurde das Personaltableau von Alexander Gauland, der nach 40jähriger CDU-Mitgliedschaft die AfD mitbegründete und nun deren Bundessprecher ist. Geboren wurde er übrigens in Chemnitz. Mehr Sachsen ging nicht.

Viel Beifall gab‘s für alle drei Redner. Wobei Karsten Hilse verbal kräftiger austeilte, als der eher verbindlich formulierende Jörg Urban. Über die zu erwartende Wahlkampf-Rhetorik hinaus wurden zudem Dinge angesprochen, die vielen nicht so geläufig sind. Oder wussten Sie, dass sich die AfD für die Schüler ein gemeinsames Lernen bis zur Klasse 8 vorstellen kann? Oder dass für diese Partei ein Wiedereinstieg in die Energiegewinnung durch Kernkraft denkbar ist? Etwas salopp lässt sich hierzu der Aphoristiker und Journalist Wolfgang Mocker zitieren: „Rückkehr zu den alten Zuständen nennen die Mediziner Besserung.“

Apropos alte Zustände. Die Regierungsparteien sind unter Druck geraten. In Bautzen verlässt sich die CDU im Wahlkampf bislang auf den allgegenwärtigen Marko Schiemann. Dieser gehört bereits seit 1990 dem Sächsischen Landtag an, könnte kürzer treten, in den Ruhestand gehen. Doch er kann es nicht lassen, sich weiterhin für seine Heimatstadt und die Oberlausitz stark zu machen. Die SPD wollte unlängst ihren „rollenden Küchentisch“ auf dem Kornmarkt aufstellen; stattdessen wurden Flyer und Rosen verteilt. Ganz unverblümt gesagt: Für sie wird nach der Wahl nur ein Platz am Katzentisch der Landespolitik übrig bleiben. Doch wenn die Partei als Mehrheitsbeschaffer gebraucht wird, kann dieser sogar wieder im Kabinett der Landesregierung stehen.

Die Partei Die Linke schickt erneut Heiko Kosel ins Landtagswahl-Rennen. Aber nicht nur, dass er in einem kaum zu gewinnenden Bautzener Wahlkreis als Direktkandidat antritt. Nein, die Partei setzte ihn, den einzigen Sorben ihrer Liste, zudem auf den aussichtslosen Platz 60! So kann man Stammwähler vergraulen. Und die FDP? Deren Bautzener Direktkandidat Mike Hauschild blickte jüngst gleich mal über den 1. September hinaus. Er votierte für mehr Grün. Aber nicht in der Politik, sondern bei der Umgestaltung des Kornmarktes. Das ist bestimmt „nachhaltiger“ als Tage zuvor der Zwischenstopp der Bikertour seines Landesparteichefs Holger Zastrow auf dem Postplatz.

Am 1. September haben Sie also wieder die (Aus-)Wahl! Die US-amerikanische Schriftstellerin Alice Walker sagte mal: „Die meisten Menschen geben ihre Macht auf, indem sie denken, sie hätten keine.“ Bitte denken Sie nicht so! Nur wer nichts macht, gibt seine Macht auf. Gehen Sie deshalb wählen!

Hans-Georg Prause

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