Sind das die Geister, die sie riefen, nun aber nicht mehr loswerden? Dann könnte der ganze Spuk ein böses Ende nehmen. Die Friday for Futur-Gemeinde traf sich mal wieder in Berlin. (Aber was bittschön ist ein „Klimastreik“?) Dieser jüngste Demo-Tag des Kinderkreuzzuges gegen unser aller Umweltsünden verlief allerdings nicht wie sonst. Unter tausenden Teilnehmern waren ein paar eher hartgesottene Protestler. Berichtet wurde u.a. vom sogenannten Antifaschisten Block. Hüpfen für die Rettung der Welt war denen zu wenig Action.
Der Protest richtete sich zwar wie gewohnt gegen jeden und alles, besonders jedoch gegen die sogenannten Ampel-Parteien. Die umweltbewegten jungen Leute hatten sich über viele Monate hin vor jenen Karren spannen lassen, der die Grünen ins Kanzleramt kutschieren sollte. Die SPD und sogar die FDP dorthin mitzunehmen, davon war nie die Rede. Und nun, da sie in den Plänen der künftigen Dreier-Koalition nicht viel mehr als ein Muster ohne Wert sehen, fühlen sie sich um den Lohn betrogen. Willkommen in der wirklichen Welt.
Derart frustriert, können die Gäule mit einem schon mal durchgehen. Der grüne Zauber ist verflogen, die unsozialen Tricks sind entlarvt. So wurde nicht nur brav gebummelt und getanzt, sondern es kam u.a. zu längeren Blockaden der drei Parteizentralen. Das Willy-Brandt-Haus war bereits in der Nacht zuvor beschmiert worden. Aber bloß kein falsches Mitleid. Wie gesagt: Die Geister, die man rief …
Bei Presse, Funk und Fernsehen, wie‘s so schön altmodisch heißt, dürfte man allerdings ins Grübeln kommen. Schließlich wurden einerseits die FFFler bislang fast ausnahmslos medial gepampert. Und nun? Wie sich verhalten, wenn sich deren Unmut über die Politik gegen die (neue) Regierung entlädt? Denn andererseits ist die Kriechspur von den Redaktionen zum Kanzleramt unübersehbar und tief in alte Gewohnheiten eingegraben. Wie sie da wohl rauskommen?
Nach diesem jüngsten Berliner Intermezzo wollten Journalisten gleich mal mit der Nazi-Keule auf die linksgrünen Umweltbewegten einprügeln. Sonst ist diese nur schnell zur Hand, wenn’s „gegen rechts“ geht. Aber da soll vor der SPD-Parteizentrale der Slogan „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ skandiert worden sein. Daraus einen Skandal zu machen, das wurde zumindest bei WELT online versucht. Meist genügt dafür der anklagende Hinweis, diesen Spruch, manchmal ist es nur ein Wort, hätten doch die Nationalsozialisten verwendet.
Nur klappte das diesmal nicht. Der (erhoffte?) Social Media-Shitstorm, an den sich Redaktionen gern anhängen, blieb einfach aus. Andere Zeitungen wollten ebenfalls nicht in dieses Horn blasen. Die Recherche war ja auch schlecht. Alles löste sich in Luft auf, der Nazi-Vorwurf verpuffte. Der Artikel wurde „überarbeitet“, ohne selbst danach inhaltlich wirklich zu überzeugen. Wer bereits in eine Grube gefallen ist, sollte nicht noch tiefer buddeln.
Kleiner Exkurs: Der angesprochene „Verrat der Sozialdemokraten“ verweist auf die Novemberrevolution 1918. Vielleicht kennt noch jemand diese linke Version: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Wer hatte Recht? Karl Liebknecht!“ Jüngst in Berlin wurde dieser Zusatz ersetzt durch: „Wer war mit dabei? Die grüne Partei!“ Eine neue Variation eines alten Themas. Überlebt hat nur der erste Teil dieser Parole erstaunliche rund hundert Jahre. Warum das wohl so ist?
Dieser Schuss ging also daneben, manch anderer geht sogar nach hinten los. Obwohl anfangs alles so lief, wie es sich ein gewisser Gil Ofarim gedacht hatte. Dieser Rocksänger tat Anfang Oktober per Video auf Instagram öffentlich kund, er wäre in einem Hotel in Leipzig beleidigt worden, weil er Jude sei. An der Rezeption sei von ihm verlangt worden, seine Kette mit dem Davidstern abzunehmen. Die Empörung über diesen erneuten Beweis für alltäglichen Antisemitismus in Deutschland war wie erwartet oder wie beabsichtigt recht groß. Der „braune“ Osten, das passte fast zu gut.
Wie ein Lauffeuer breitete sich die Kunde von diesem Vorfall aus. Zusätzlich entfacht von einem medialen Hype. Hunderte Demonstranten waren wie auf Abruf zur Stelle. Einschlägig bekannte Politiker und Persönlichkeiten brachten – etwas vorlaut, wie sich zeigen sollte – ihr Entsetzen zum Ausdruck. Dabei gab es bis dahin nur einen „vom Opfer“ selbst inszenierten Auftritt, den zu hinterfragen sich anfangs inmitten dieses „Volkes der Täter“ kaum jemand getraute. In den Redaktionen verließ man sich, statt zu recherchieren, auf das Internet. Traurig, aber wahr bzw. eben nicht wahr, wie sich zeigen sollte.
Denn inzwischen hat sich die Aufregung als Strohfeuer erwiesen. Die Ermittlungen ziehen sich zwar hin wie ein Schwelbrand, doch ist es unwahrscheinlich, dass daraus wieder Flammen schlagen. Keine Sternstunde für den Sänger, nicht nur, weil er seine Kette mit dem Stern des Anstoßes gar nicht sichtbar getragen hatte. Was Aufnahmen der Überwachungskameras belegen. Auch einige Zeugenaussagen stützen nicht unbedingt seine Version von den Vorgängen im Hotel.
Das Hotel stellt sich übrigens nach einer selbst eingeleiteten Überprüfung hinter seine Mitarbeiter. Kein alltäglicher Vorgang, wo es sonst eher an der Tagesordnung ist, vor Forderungen nach politischer Korrektheit einzuknicken und drei Mea Culpa herzubeten. Dass Journalisten etwas zur Aufklärung dieser Vorgänge in Leipzig beigetragen haben, ist dagegen nicht bekannt.
Für Ofarims Darstellung spricht einfach zu wenig. Nun gut, er selbst tut es. Doch wie sagt der Volksmund: „Wer einmal lügt, …“ Nicht nur die ZEIT muss eingestehen, dass „Die Widersprüche bleiben“.
Der 39-Jährige trat zuletzt die Flucht nach vorn an. Er verklagte erneut jenen Hotelmitarbeiter, der seinerseits den Sänger verklagt hatte, weil er von diesem erst beschuldigt und später angezeigt worden war. Alles klar? Also selbst wenn das Ganze mehr war als nur ein Egotrip des Gil Ofarim, so sollte ihm jemand sagen, dass es gar nichts bringt, auf einen toten Gaul noch einzuschlagen.
Sich couragiert gegen Antisemitismus zu wehren ist aller Ehren wert. So wie man auch nicht die Sprache des Dritten Reiches wieder salonfähig machen sollte. Zu viel des Richtigen zu tun, kann aber zum Falschen führen. Lauthals „Feuer!“ sollte man nur rufen, wenn’s wirklich brennt. Sonst löscht irgendwann keiner mehr.
Foto: Pixabay.com