Also eine Sternstunde des Journalismus ist diese Idee der Illustrierten „Stern“ nicht. Zumal befürchtet werden muss, dass es nicht nur um eine Verbeugung vor dem durch die Medien spukenden Zeitgeist geht, sondern solchen Worten auch Taten folgen können. Wie unlängst bereits in Thüringen geschehen. Doch dazu später.
Vorher noch eine aktuelle Anschluss-Info zur BB-Kolumne „Freiheit, die sie meinen“. Beim Berliner „Tagesspiegel“ gestand man inzwischen ein, bei den Recherchen zu „#allesdichtmachen“ habe man leider „auch Fehler gemacht“ . Angesichts der in zwei langen Artikeln entwickelten Verschwörungstheorie über „Hintermänner“ dieser populären Aktion von Schauspielern zum Sinn und Unsinn von Corona-Maßnahmen ist das eine äußerst schmallippige Erklärung.
Was aber passiert denn nun beim „Stern“? Dort ist das leitende Paar (m/w) in der Chefredaktion der Meinung, dass es nicht mehr ausreicht, über das Zeitgeschehen zu berichten und es zu kommentieren. Die Branchenzeitschrift „Horizont“ schreibt, es gehe bei dieser Idee darum, „die Grenzen des Journalismus zum Aktivismus“ aufzuweichen.
Da hat man beim etwas leck geschlagenen Flaggschiff des Verlages Gruner + Jahr nun also W. I. Lenin entdeckt. Der Kernsatz von dessen Streitschrift „Womit beginnen?“ von 1901 lautet: „Eine Zeitung ist nicht nur ein kollektiver Propagandist und kollektiver Agitator; sie ist auch ein kollektiver Organisator.“ Beim „Stern“ heißt 120 Jahre danach die Devise: „Anpacken, nicht nur schreiben“.
Ob auch Sebastian Scholz den „Stern“ liest oder Lenins Werke kennt? Der Geschäftsführer des Landesverbandes Thüringen des Verbandes der Journalisten (DJV) nahm das mit dem Anpacken kürzlich fast wörtlich. Am Rande einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Weimar stellte er einem der Teilnehmer ein Bein, als sich dieser dem Zugriff der Polizei entziehen wollte. Der Journalist, dein Freund und Helfer, das mögen die Beamten gedacht haben.
Es gibt ein Video von dem Vorfall. Der Funktionär wurde noch vor Ort befragt. Seine Erklärung: Er sei nicht mehr rechtzeitig weggekommen … Was die Filmaufnahmen widerlegen. Der DJV-Landesverband stellte sich trotzdem unkritisch hinter diese Aktion seines Geschäftsführers („Eine bespiellose Welle des Hasses“). Sein Vorstand lobte sogar dessen „zivilcouragierten Einsatz“. Und der Film? Und die Zeugen? Das alles sei nicht aussagekräftig; die Aufnahmen würden wichtige Vorgänge aussparen.
Dieses Video wird keine gravierenden Folgen haben. Anders sah das im November 2018 aus. Schauplatz war eine Demonstration in Chemnitz. Erinnern Sie sich? „Hase, du bleibst hier!“ Wenigen Filmsekunden reichten, um daraus eine „Hetzjagd auf Ausländer“ zu machen. Unisono stimmten die Medien in die Vorwürfe ein. Eine Stadt stand nun am Pranger, der damalige Präsident des Verfassungsschutzes musste letztlich gehen. Denn Hans-Georg Maaßen blieb skeptisch, sah keine beweiskräftigen Belege für dramatische Vorfälle.
Übrigens war Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer mit Maaßen einer Meinung: „Es gab keinen Mob. Es gab keine Hetzjagd. Es gab kein Pogrom in Chemnitz.“ Nur überlebte er politisch diese konzertierte Aktion „gegen rechts“, während der ehemalige Chef der Schlapphüte zur Persona non grata wurde.
Warum dieser Rückblick? Jetzt kandidiert ausgerechnet Maaßen als Mitglied der CDU in Südthüringen für den Bundestag. Was auch heißt: Er ist erneut zum medialen Abschuss freigegeben.
Vielleicht hätte man nicht unbedingt der grünen Klimaaktivistin Luisa Neubauer in der ARD-Talkshow von Anne Will dafür die Flinte in die Hand drücken sollen. Zumal sie dort eigentlich auf den CDU-Chef Armin Laschet zielte. Ihm warf sie u.a. vor, er würde „rassistische, antisemitische, identitäre und wissenschaftsleugnerische Inhalte, verkörpert durch Hans-Georg Maaßen“ legitimieren. Das volle Programm also, um Leute zu diskreditieren, die einem nicht passen.
Konkrete Nachfragen: keine. Haltlose Anschuldigungen in den Raum zu stellen, ist leider zu oft Argument genug. Ausgerechnet die Moderatorin der Sendung wurde später aber aktiv. Sie reichte via Twitter einige Argumente nach, die Luisa Neubauers Behauptungen untermauern sollten. Unfreiwillig gab Anne Will damit ein Beispiel für die unsägliche Art eines aktivistischen sich gemein Machens, was derzeit wohl opportun ist. Die Tweets wurden aber wieder gelöscht. Zu weit aus dem Social-Media-Fenster gelehnt?
Die junge Frau Neubauer selbst braucht drei Tage, um sich konkreter zu den von ihr erhobenen Vorwürfen gegen Hans-Georg Maaßen zu äußern. Zu spät, um noch glaubhaft zu sein. Bereits zu heftig war auch die Kritik an ihren Äußerungen. Bekannt wurden u.a. solche Stimmen aus Jüdischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen: „Wer Antisemitismus nutzt, um im Wahlkampf zu punkten, verhöhnt dessen tägliche Opfer.“
Und plötzlich war diese Mahnung hochaktuell. Die radikal-islamische Hamas feuerte Raketen auf zivile Ziele in Israel; dessen Militär schlug zurück. Gewalt gab es aber eben nicht nur dort.
„Seit Tagen verbreiten Mobs in vielen deutschen Städten blanken Judenhass. Sie skandieren übelste Parolen gegen Juden, die an die dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte erinnern“, so wurde Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, in Steingarts Morning Briefing zitiert. Das, liebe Frau Neubauer, ist der alltägliche Antisemitismus. Es sind nicht die Wortklaubereien und die bemühten Codes und Chiffren aus dem Bodensatz von Twitter und Co.
Es ist wichtig, jetzt, da bei uns öffentlich israelische Fahnen verbrannt und Synagogen attackiert werden, nicht nur verschämt wegzusehen. Viele Journalisten folgen jedoch der linksgrünen Politik nebst antiisraelischen Aktivisten und sehen Muslime stets nur als Opfer. Diese können demnach keine Täter sein. Eine abenteuerliche Sicht der Dinge, meint die Professorin und Islam-Expertin Susanne Schröter.
Und im Klartext? „Immer wieder junge islamistische Männer, die uns Juden angreifen“, so lautete dieser Tage eine Überschrift bei WELT online. Wegducken geht nicht mehr. Ross und Reiter müssen genannt werden. Und einige von deren willigen Steigbügelhaltern kennen wir auch.
Der Antisemitismus, den es rechts wie links gebe, schreibt der WELT-Korrespondent Deniz Yücel, „hat sich nur ein lieblich-progressives Gewand übergezogen: postkolonial, antirassistisch, gendergerecht.“ Sein aktueller, hier verlinkter Artikel „Die Metamorphosen des Antisemitismus“ ist als eine unbedingte Leseempfehlung zu verstehen.