Von einem Witz und der Fußball-WM

Damals war es schlicht und einfach nur ein Witz, der im Internet kursierte. Ein etwas böser, zugegeben. Es war aber auch zu absurd, was im Frühjahr alles über...

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Damals war es schlicht und einfach nur ein Witz, der im Internet kursierte. Ein etwas böser, zugegeben. Es war aber auch zu absurd, was im Frühjahr alles über jenen Giftanschlag von Salisbury gesagt und geschrieben wurde. Dagegen half nur noch Sarkasmus dieser Art: „Britische Regierung fordert Russland auf, den Mord an Skripal zuzugeben. Andernfalls droht sie damit, noch jemanden zu vergiften.“

Abgesehen davon, dass der russische Doppelspion und seine Tochter das Attentat im März überlebt haben, bekam der Witz jetzt eine unerwartete Pointe. Erneut haben sich in dieser südenglischen Region zwei Menschen mit dem wahrscheinlich gleichen Gift kontaminiert; leider gab es diesmal sogar einen Todesfall. Geschehen ist das in Amesbury, das übrigens nicht gleich nebenan von Salisbury liegt, wie hier und da zu lesen war. Vielmehr befindet sich zwischen den beiden Städten auch noch das gar nicht mehr so geheime Militärlabor von Porton Down. In dem wird u.a. mit diversen Kampfstoffen experimentiert. Vielleicht sollte dort mal jemand nachsehen, ob es ein Loch im Zaun gibt. Bevor wieder neue Verschwörungstheorien in die Welt gesetzt werden.

Bekanntlich hielt sich die britische Regierung beim „Fall Skripal“ nicht lange mit der Suche nach Beweisen auf, sondern war schnell mit Beschuldigungen bei der Hand. Die Russen waren es, ganz klar. Das hatte ein mächtig gewaltiges politisches Nachspiel. Manch einer musste die Koffer packen; zahlreiche Diplomaten wurden unfreiwillig zu (Aus-)Reisekadern. Hüben wie drüben. Außerdem wurde verkündet, weder Mitglieder der Regierung noch Angehörige des Königshauses werden die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland besuchen. Inzwischen wissen die Briten, worauf sie verzichtet haben, nämlich mitzuerleben, wie ihre Nationalmannschaft sich überraschend gut im WM-Turnier behauptet hat. Das „kleine Finale“, darauf ein dreifaches „Cheers!“. Die „Three Lions“ couragiert aufspielen zu sehen, hätte einer Theresa May eventuell gut getan. Gerade jetzt, wo sie durch ihren schlingernden Brexitkurs mehr und mehr an politischer Rückendeckung in den eigenen Reihen verliert.

Peinlich berührt müsste die Premierministerin davon sein, dass zum Beispiel der französische Staatspräsident nicht viel von albernen politischen Gesten hält. Emmanuel Macron feierte in Sankt Petersburg im Stadion den Sieg der Equipe Tricolore gegen Belgien und deren Einzug ins WM-Endspiel auf der VIP-Tribüne mit. Der Bundeskanzlerin wurde ja eine Entscheidung zwischen westeuropäischer Gefolgschaftstreue und nationalem Bekenntnis erspart. Es wird kolportiert, dass man nach Salisbury und Skripal überlegt habe, den Briten zuliebe die Fußball-WM in Gänze zu boykottieren. Was aber bestimmt nur so ein Kabinengerücht ist. Doch spielen wir den Gedanken mal durch: Statt sich mit dem letzten Platz in einer nicht zu starken Vorrundengruppe zu blamieren, könnte man sich jetzt treu und stolz moralischer Weltmeister nennen. Dem Putin hätte man es damit aber gezeigt! Und den anderen, den wankelmütigen Westeuropäern gleich mit.

Nun, diese Chance wurde verpasst. Widmet man sich also wenigstens der Suche nach den Ursachen des fußballerischen Versagens? Ach was, stattdessen wird in schlechtester deutscher Tradition an einer Dolchstoßlegende gestrickt. Irgendwer muss an dem Debakel schließlich schuld sein. Dass man dafür letztlich Spieler verantwortlich machen will, die „noch nicht länger hier leben“, erweist sich für die DFB-Funktionäre aber plötzlich als zweischneidige Sache. Weit ungefährlicher ist es da, anderswo etwas nachzutreten.

Denn von wegen russisches Sommermärchen und so. Der „Fußball ist Putins Opium“, warnte die „Frankfurter Allgemeine“ am 8. Juli in einem Kommentar. Alles nur eine große Inszenierung, so lautete der Vorwurf. Und dann der Doping-Verdacht! Haben nicht die russischen Fußballer am Spielfeldrand an Wattebällchen mit Ammoniak geschnüffelt? Das sei nicht verboten, räumt die „Süddeutsche Zeitung“ in einem Beitrag am 7. Juli zwar selbst ein, doch es ist … verdächtig! Genauso wie der auf einem Foto (!) zu sehende Einstich in der Ellenbeuge von Artjom Dsjuba. „Das kann grundsätzlich viel bedeuten“, heißt es zuerst ganz sachlich in dem Artikel, nur um dann trotzdem den Pharmakologen Fritz Sörgel mit dem sybillinischen Satz zu zitieren: „Wenn ich aus der Vene etwas rausnehme, kann ich dort ebenso gut etwas hineinführen.“ Ja, eben. Nichts Genaues weiß man nicht. Aber warum nicht mal so eine Mutmaßung in den Raum stellen. Dass u.a. die „BILD“ und der Fernsehkanal Sport1 sich an solche Berichte anhängen, überrascht kaum. Nicht jeder liest schließlich die „SZ“ aus München. Andere Medien werden sicherlich folgen. Nicht unbedingt mit eigenen Recherchen. Viele schöpfen einfach nur aus der gleichen trüben Quelle.

Das erwähnte Sportfernsehen hat aber dieser Tage sogar noch einen exklusiven Beitrag zum WM-Bashing geleistet; die Redaktion war im privaten Twitter-Auftritt von Sawsan Chebli fündig geworden. Die frühere stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amtes und jetzige Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement (ja, das gibt es), hat den deutschen Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus angezählt, weil er – wohlgemerkt mit anderen FIFA-Legenden wie etwa Marco van Basten – tatsächlich Wladimir Putin im Kreml besuchte und danach auch noch öffentlich die WM lobte. Die 39jährige Chebli glaubt der Welt mitteilen zu müssen: „Fand ihn (also Matthäus/hgp) irgendwie immer unecht. Falsch. Ohne Haltung.“

Tja, via Social Media kann ein jeder sein Mütchen kühlen. Das ist längst kein Vorrecht mehr von Krethi und Plethi. Es mag hin und wieder unterhaltsam sein, oft ist es aber einfach nur selbstgefällig und blöd. Eher selten stimmt ein Posting oder Tweet im Nachhinein noch nachdenklich. So wie der hier eingangs zitierte Witz, Verfasser unbekannt, der plötzlich auf so tragische Weise in Amesbury von der Wirklichkeit eingeholt wurde. Die besten, wenn auch nicht immer die schönsten Geschichten schreibt eben das Leben selbst.

Hans-Georg Prause

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