Kaum zu glauben: Da sah jemand rot, weil diese Schafe blau waren. Mit einer anonymen Drohung (im Wortlaut etwa „Sie werden noch ihr blaues Wunder erleben!“) wurden die Behüter der Blauen Friedensherde auf dem Hauptmarkt in Bautzen etwas verunsichert. Aber natürlich war das Blau der Kunststoffschafe keine Werbung für die AfD und der ausgerechnet auf das Wahlwochenende fallende Termin sowieso nur Zufall.
Allerdings ein recht glücklicher Zufall. Das Altstadt-Festival und ein Friedensfest waren der passende Rahmen für dieses soziale Kunstprojekt zur Förderung des freundlichen Miteinanders im öffentlichen Raum. Ein von an politischer Paranoia leidenden Zeitgenossen angedrohtes „blaue Wunder“ blieb aus. Dass mal kräftige Gewitterböen über den Platz vor dem Rathaus wehten, wurde vor Ort wettgemacht durch den Anblick tanzender und singender Kinder und in den blauen Himmel aufsteigender weißer Tauben. Das wiederholte sich später am Reichenturm bei dem vom „Bautzner Frieden“ zum Weltfriedenstag organisierten Fest mit Vereinen und Initiativen, Mitmach-Spielen und Liedermachern.
Noch schöner war am vergangenen Sonntag wohl nur, dass sich trotz zuerst großer Hitze und dann drohendem Unwetter so viele Bürger in die Wahllokale der Stadt aufmachten. Zwei von drei Wahlberechtigten haben das getan. Wen wundert’s, dass sich das in den Ergebnissen der Wahl widerspiegelt. Diese dürften inzwischen allgemein bekannt sein. In der Stadt Bautzen dominieren die CDU (37,5 Prozent) und die AfD (33,8). Die Christdemokraten verloren kräftig, die Alternativen gewannen deutlich dazu. Keine der anderen Parteien erreichte aber wenigstens ein zweistelliges Ergebnis. Von den Direktmandaten der fünf Bautzener Wahlkreise konnte die AfD drei, die CDU zwei gewinnen.
Ganz knapp ging es im Wahlkreis 1 zu, wo Frank Peschel (der Herausgeber des „Bautzener Boten“) letztlich mit 0,1 Prozent und rund 30 Stimmen vor der CDU-Kandidatin Patricia Wissel lag. Es war gegen Mitternacht, als er aufatmen konnte. „Wahnsinn. Ich kann es gar nicht glauben. Unglaublich.“ Das war sein erster Kommentar. Seine direkte Kontrahentin wird er im Landtag wiedersehen. Sie schaffte es über die Landesliste. Selbst in der Politik gibt es also eine ausgleichende Gerechtigkeit. So sieht es übrigens auch Frank Peschel.
Weniger auf Ausgleich bedacht zeigte sich vor der Landtagswahl der Radeberger SPD-Oberbürgermeister Gerhard Lemm. Er rief öffentlich dazu auf, im Wahlkreis Bautzen 3 nicht seinen als Direktkandidat antretenden Genossen zu wählen, sondern den Vertreter der CDU. Um unbedingt den AfD-Mann auszubremsen, war ihm jedes Mittel recht. Nur ist Radeberg nicht Görlitz (wo dieses Jahr auf ähnliche Weise ein AfD-OB verhindert wurde) und die SPD allein politisch viel zu schwach um die Brust. Der erste Platz ging mit einem Stimmen-Plus von 0,4 Prozent an Timo Schreyer und die AfD. Bei den Sozialdemokraten dürfte eine Wahlmanöver-Kritik fällig sein.
Den Namen nach vielleicht am stärksten besetzt war der Wahlkreis Bautzen 5. Aber wie heißt es so schön: Es kann nur einen geben! Und das war der Bautzener Marko Schiemann, der wieder für die CDU in den Landtag einzieht, wo er – das ist nicht despektierlich gemeint – seit 1990 quasi zum Inventar gehört. Hier kann gar nicht alles aufgelistet werden, was er für seine Heimatstadt und die Oberlausitz in diesen fast drei Jahrzehnten alles bewirkt hat. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferte er sich mit dem in den vergangenen Wochen in Bautzen sehr präsenten AfD-Landeschef Jörg Urban. Das insgesamt überragende Wahlergebnis seiner Partei dürfte diesen wohl diese Niederlage verschmerzen lassen.
Fast ebenso eng ging es im Wahlkreis 4 zu, wo Doreen Schwietzer für die AfD gewann. Den Wahlkreis 2 mit seinen sorbischen Gemeinden dominierte traditionell die CDU mit Aloysius Mikwauschk.
Die lokale „Sächsische Zeitung“ setzte die vielen Zahlen in Worte um und schrieb am Tag nach der Wahl: „Oberlausitz bleibt AfD-Hochburg“. Ein unerklärliches „blaues“ Wunder ist das aber nicht. Diese noch junge Partei als nicht wählbar hinstellen zu wollen, hat sich als fauler Zauber erwiesen. Woher sonst kommen die 27,5 Prozent der Wählerstimmen in Sachsen. Die Mär von den alten, zornigen Wählern – bevorzugt weiß und männlich – glaubt kaum einer mehr. Stattdessen fällt auf, dass zunehmend junge Leute für die AfD gestimmt haben. „In Sachsen ist diese Partei bei den 18- bis 29-Jährigen mit 22 Prozent stärkste Kraft geworden“, teilte WELT online mit.
Zu ihrem Vorteil konnte die AfD zudem rund 241 000 Nichtwähler auf die Beine bringen. Die einst „schweigende Mehrheit“ fremdelte nicht länger mit der Politik und sorgte für eine repräsentativere Wahlbeteiligung. Für Timo Reinfrank, den Geschäftsführer der umstrittenen Amadeu-Antonio-Stiftung, ist das alles laut MDR aber „demokratiefeindlich“. Ein erheblicher Teil der Ostdeutschen habe „zu wenig Vertrauen in das politische System“.
Ach ja, der Ostdeutsche, das unbekannte Wesen. Und dazu auch noch so undankbar für die Segnungen des Westens. Doch mal ganz ernsthaft: Geht jemand freiwillig wählen, wenn er dem politischen System misstraut?
Voller Sarkasmus brachte einst der ehemalige französische Ministerpräsident Georges Clemenceau das auf den Punkt, was man in der CDU in Sachsen und in der SPD in Brandenburg jetzt eventuell denkt: „Das Regieren in einer Demokratie wäre wesentlich einfacher, wenn man nicht immer wieder Wahlen gewinnen müsste.“
Hans-Georg Prause