Wenn die Masken fallen

Über Namen macht man keine Witze, schon klar. Allerdings heißt es andererseits „nomen est omen“ – also in etwa „der Name ist ein Zeichen“. Wie auch immer –...

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Über Namen macht man keine Witze, schon klar. Allerdings heißt es andererseits „nomen est omen“ – also in etwa „der Name ist ein Zeichen“. Wie auch immer – kommen wir einfach zu Marco Wanderwitz, dem sogenannten Ostbeauftragten der Bundesregierung.

Noch gut in Erinnerung ist, dass dieser CDU-Mann vor einiger Zeit bemängelt hatte, manche Ostdeutschen seien „nicht in der Demokratie angekommen“. Ein Teil der Bevölkerung habe „gefestigte nichtdemokratische Ansichten“. Dass kurz darauf seine Partei in Sachsen-Anhalt eine Landtagswahl gewann (mit einem Ergebnis, von dem die Bundes-CDU nur träumen kann), hätte ihn eines Besseren belehren müssen. Von wegen!

Nur wenige Wochen später meldete sich dieser als Bewährungshelfer der Menschen im Osten eingesetzte Politiker wieder zu Wort. Und nun ließ er gänzlich die Maske fallen: Er sehe einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den vergleichsweise niedrigen Corona-Impfquoten in den neuen Bundesländern und dem hohen Zuspruch für die AfD in diesen Regionen.

Aha, das also stößt ihm bitter auf. Zumindest im Punkte „hoher Zuspruch“ wird ihm allerdings kaum jemand widersprechen. In Sachsen zum Beispiel würden, wenn jetzt Bundestagswahl wäre, die Alternativen laut einer Insa-Umfrage mit 25 Prozent um einen Punkt vor der CDU liegen. Aber was hat das mit der Impfquote zu tun? Ist das nur so eine Vermutung?

Laut Wanderwitz lässt es sich jedenfalls „nicht wegdiskutieren“. Als ob über die deutliche Kritik der AfD an den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung jemals offen und öffentlich diskutiert worden wäre. Was aktuell auch problematisch werden könnte. Vielleicht käme dann der mögliche Bezug einer skeptischen Impfzurückhaltung zur überschaubaren Inzidenz im so übel beleumdeten Osten zur Sprache.

In Thüringen gab es zu Anfang dieser Woche nur 53,5 Prozent „vollständig geimpfte Personen“. Die Inzidenz lag jedoch bei 8, das war bundesweit der niedrigste Wert. Nehmen wir dagegen Schleswig-Holstein. Die Impfquote war dort mit 61 hoch, die Inzidenz von 50 aber auch. Und dann die Sachsen, die das Schlusslicht in der Corona-Disziplin des freien Impfens sind. Sie nehmen es eher sportlich: Der Freistaat stand zu Wochenbeginn dafür mit einer Inzidenz von 15 recht gut da.

Aber ach, es kommt noch schlimmer! Auch wenn es in der mehr ein- als vielfältigen Medienwelt nicht thematisiert wird – man müsste sich ja von liebgewordenen Vorurteilen trennen –, wurde bereits vor einem Monat in Sachsen der „Maskenball“ (bis auf begründete Ausnahmen) inzidenzabhängig abgeblasen. Ein eher untypisches Vorpreschen der Kretschmer-CDU; das war und ist bundesweit einmalig.

Und siehe da, es geht ohne Mund-Nasen-Schutz. Wer möchte, kann sich gern weiterhin maskieren. Der Augenschein widerspricht aber einer Umfrage („Sächsische Zeitung“ vom 28. Juli), wonach rund 40 Prozent der Leute das beim Einkauf auch künftig tun wollen. Andererseits führte der niedrige Inzidenz-Schwellenwert von 10 u.a. in Dresden zum wöchentlichen Maske-auf-Maske-ab-Wechselspiel. Da fehlte der Mut zu mehr Courage.

Stattdessen nun – wie in einer neuen Corona-Verordnung angedroht – ab Ende August sogar die alte Maskenpflicht wieder aufleben zu lassen, dürfte auf großes Unverständnis stoßen. Das Dresdner Kabinett wäre dann tatsächlich nicht mehr als ein Appendix des Bundeskanzleramtes.     

Die sächsische Landespolitik wurde ja bereits ein gutes Stück demaskiert. Die von der SPD gestellte Gesundheitsministerin Petra Köpping soll den Kabinettsbeschluss zur Aufhebung der Maskenpflicht beim Einkauf gegen ihre persönliche Überzeugung akzeptiert haben. Ihre Partei jedoch distanzierte sich öffentlich von diesem Versuch, den Alltag der Menschen zu Corona-Zeiten ein wenig zu erleichtern: „Einfach Maske auf, dann sind wir alle auf der richtigen Seite.“ Natürlich weiß die SPD ganz genau, was richtig ist. Und wie man mögliche Wähler verprellt.

Die sächsischen Grünen wiederum sind der CDU und auch der SPD nicht ganz grün – Regierungskoalition hin oder her. Sie warfen beiden Parteien vor, „ohne Plan aus dem Bauchgefühl heraus voreilig“ gehandelt zu haben. Vielleicht wusste deren Spitzenkandidatin Paula Piechotta nicht, dass dieses Vorgehen vom Kabinett laut Ministerpräsident Michael Kretschmer gemeinsam beschlossen wurde, also inklusive der grünen Vertreter. Was dieser auf Anfrage der „Sächsische Zeitung“ (vom 17./18. Juli) sogar ausdrücklich bestätigte.

Nun, es war Michael Kretschmer selbst, der sich die Grünen in die Regierung holte. Der Wille zum Machterhalt war stärker als alle Bedenken. Viel scheint er von ihnen allerdings nicht zu halten. Auf die Frage (WELT online vom 19. März), ob er nach der Bundestagswahl ein grünes Kanzleramt für denkbar halte, fielen ihm Worte ein wie „Horrorshow“ und „Gruselkabinett“.

Übrigens, um auf Marco Wanderwitz zurückzukommen: Es könnte sein, dass dieser zwar nicht gut informiert, aber ein SPIEGEL-Leser ist. Oder ist das das Gleiche? Denn bereits einige Tage vor ihm zeigte das einstige Nachrichten-Magazin dorthin, wo Deutschlands Impfquote am niedrigsten ist. Der Artikel, bei dem es vor allem um Sachsen geht, kommt zwar nicht ohne Verweise auf querdenkende Impfgegner aus, überrascht aber durch (ungewollte?) Denkanstöße.

Könnte es nicht sein, dass in Sachsen, wo es voriges Jahr eine große Zahl von Infizierten und Erkrankten gab, sich viele Menschen inzwischen auf natürlichem Wege, also durch Ansteckung immunisiert haben? Bekanntlich kann das ohne große Symptome geschehen.

Die Möglichkeit, so zu einer gewissen Herdenimmunität zu kommen, wird seitens der von Eitelkeiten nicht ganz freien Zunft der Experten gern ignoriert. Jetzt, wo viele bereits geimpft sind und ein jeder sich selbst schützen kann, den Dingen ihren freien Lauf zu lassen, übersteigt aber wohl deren Verständnis von einem „Leben in Freiheit und Würde“, was es ohne jedes Risiko nicht gibt.

Wem das etwas zu pathetisch war: Menschen wie Marco Wanderwitz entsprechen sowieso eher dem Bonmot von Carlos Ruiz Zafon (1964-2020): „Die Theorie ist die Praxis der geistig Armen.“ Es beschleicht einen das dumme Gefühl, dass es sich weniger um Wissen als um Wunschdenken handelt, wenn dieser frustrierte Mann davon ausgeht, „dass wir in Ostdeutschland im Herbst aufgrund der Delta-Variante eine Corona-Welle sehen werden, die das Gesundheitssystem erneut an seine Grenzen bringen wird“ (ntv, 12. August).

Diese Prophezeiung liest sich doch wie ein böser Fluch. Da verdeckt die Corona-Maske kaum noch die Grimasse des politischen Biedermanns. Dagegen mutet es an wie ein harmloser Witz, dass nun auch die CDU ihren Lauterbach hat.

Beiden sollte man ein weiteres Zitat des bereits genannten spanischen Schriftstellers ins Stammbuch oder gleich hinter die Ohren schreiben: „Im Schweigen erscheinen selbst Narren als Weise“.

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