Was war das denn wieder! Da bietet die Bundesregierung den Abgeordneten des Bundestages eine gesetzgeberische Mogelpackung in einer kaum etwas verhüllenden Verpackung an – und diese wird von den Volksvertretern letztlich trotzdem gekauft. Wortreiche Kritik an dieser nur schamlos zu nennenden Trickserei wurde zwar geübt, doch in diesem Parlament sind solche Statements aus den Reihen jener Opposition, die es kaum erwarten kann, selbst auf der Regierungsbank Platz zu nehmen, viel zu oft nur ein Muster ohne jeden Wert und deshalb einfach peinlich.
Eigentlich sollte der Bundestag vorrangig einem Flutopfer-Hilfsfond über 30 Milliarden Euro seine Zustimmung geben. Dafür allein hätte sich wohl auch jede Hand gehoben. So weit, so gut. Allerdings wurde diese Abstimmung so widersinnig wie absichtsvoll mit wesentlichen Änderungen des Infektionsschutzgesetzes verknüpft. An diesen hatten alle anderen Parteien, obwohl aus teils sehr verschiedenen Gründen, allerlei auszusetzen. Deshalb kam der „Friss Vogel oder stirb“-Vorschlag zu diesem Huckepack-Verfahren von der CDU/CSU-SPD-Koalition. Da hieß es dann „ganz oder gar nicht“; ein Lehrbeispiel für die moralische Nötigung von Abgeordneten.
In einem Artikel von WELT online (aktualisiert am 8. September) war zu lesen, „die voraussichtlich letzte Sitzung des Bundestags vor der Wahl geriet zu einem Schlagabtausch der Abgeordneten“. Doch besser gepasst hätte es das Wort „Spiegelfechterei“. Zwar erreichte die Opposition, dass über den Corona-Teil des Gesetzespaketes extra und namentlich abgestimmt wurde (Ergebnis: 346 Abgeordnete dafür, 279 dagegen, eine Enthaltung), aber die große Vorlage der Koalition wurde von allen Parteien, so sehr sie sich vorher auch echauffiert hatten, durchgewinkt.
Lediglich die AfD versagte diesem „Omnibusverfahren“ (es gibt tatsächlich diesen Begriff in der Gesetzgebung) durch Enthaltung die Zustimmung. Sie hatte zuvor selbstverständlich für die Fluthilfe gestimmt, obwohl die „Tagesschau“ (wider besseres Wissen?) etwas anderes behauptete. Denn dieses Bundestags-Votum war einstimmig, wie auf der Bundestags-Homepage nachzulesen ist.
Angesichts solcher politischer Peinlichkeiten steigt das Unbehagen an dem, was derzeit in unserem Lande, was mit unserer Gesellschaft passiert. Oder um mit Theodor Storm zu sprechen: „Der eine fragt: / Was kommt danach? / Der andre fragt nur: / Ist es recht? / Und also unterscheidet sich / Der Freie von dem Knecht“
Was ist Kritik an der Politik der noch regierenden Koalition wert, wenn sie derart verpufft? Wenige Wochen vor einer Bundestagswahl hätte der Opposition etwas weniger Defätismus gut zu Gesicht gestanden. Doch man kann es sich leisten, eine blasse Miene zum bösen Spiel zu machen, weil man insgeheim hofft, alsbald selbst mit solchen Gesetzen ohne Rücksicht auf Verluste regieren zu können. Und warum heute jemandem wehtun, der doch morgen von Nutzen sein könnte? Sei es auch nur als Mehrheitsbringer. Es ist der feuchte Traum aller Politiker, die Gesellschaft zu reglementieren.
Genau das, was noch immer eine Pandemie genannt wird, ist dafür wie geschaffen. (Man muss gar nicht behaupten: Sie wurde dafür gemacht.) Die Menschen müssen nach wie vor auf grundlegende Freiheiten verzichten; der seit vielen Monaten andauernde Konformitätsdruck ist enorm. Und er zeigt Wirkung. Dass dabei die Persönlichkeit des Einzelnen irreparablen Schaden nehmen kann, wird von einer sich im Moralisieren gefallenden Oberschicht billigend hingenommen. Das Individuum zählt nicht viel, wenn’s ums ach so große Ganze geht.
So wird, was früher undenkbar war, nach neuer Gesetzeslage jetzt zum Beispiel ein Arbeitgeber von seinen Leuten verlangen können, sensible private Gesundheitsdaten offenzulegen. Also etwa über den Corona-Impfschutz, quasi als trojanisches Pferd. Denn es muss nicht dabei bleiben. Die Paragrafen sind durchaus interpretierbar. Vielleicht wird es künftig opportun sein, auch zu fragen, ob man/frau raucht, trinkt, Fleisch isst, regelmäßig Sex hat oder gar schwanger ist. Eine Begründung wird sich schon finden lassen. Die Klimahysterie bietet sich bereits an.
Derzeit muss noch die so oft diskussionslos verlängerte „epidemische Lage“ herhalten. Etwa dafür, dass nun der Impfdruck auf Beschäftigte in Kindergärten und Schulen, Krankenhäusern und Pflegeheimen enorm erhöht werden kann. Wer nicht geimpft ist, soll nur dort arbeiten dürfen, wo es wenig Kontakte mit anderen Personen gibt. Solche Auflagen können sich nur reine Schreibtischtäter ausgedacht haben, die von der Gesundheitsbranche keine Ahnung haben. Etwa vom akuten Personalmangel. Doch für die Betroffenen und deren Familien ist das trotzdem Stress pur.
Aber auch all jene, die jetzt noch mit der Gelassenheit von Vasallen alle Maßnahmen der Regierenden im besten Glauben daran unterstützen, „die da oben“ werden schon wissen, was sie tun, sollten sich nicht auf deren Wohlwollen verlassen. Vom Vater Staat bemuttert zu werden, hat seinen Preis. Denn das sind meist keine ehrbaren Leute. Ein Beispiel gefällig?
Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht wurde am 22. August bei WELT online mit der Aussage zitiert, die 2G-Regelung sei verfassungswidrig: „Jeder Eingriff in Freiheitsrechte muss gut begründet und verhältnismäßig sein. Ich sehe nicht, wie man eine derart schwerwiegende Beschränkung mit dem Infektionsschutz rechtfertigen könnte.“ Am 27. August, also nur fünf Tage später äußerte sich die SPD-Politikerin gegenüber der „Tagesschau“ ganz anders: Sie habe keine Bedenken gegen die 2G-Regel.
Behalten Sie mal bitte diese extrem niedrige Verfallszeit einer Politikeraussage im Hinterkopf. Denn nach dem Eingriff in die Selbstbestimmung von Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialbereich haben laut WELT online (vom 7. September) die Arbeitgeber auch für andere Branchen und Unternehmen eine solche Auskunftspflicht gefordert. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lehne dies ab, so heißt. Vielleicht fehlt da nur das Wörtchen „noch“. Denn ein Schelm, wer da an Arges und den Umfaller von Genossin Lambrecht denkt.
Doch über solche Skrupellosigkeit nachdenken, das tun viel zu wenige Menschen. Geltungsdrang und Sendungsbewusstsein einer sich elitär gebärdenden Kaste geben den Ton an und die Medien singen deren Lied in Dauerschleife. Die erzwungene Anpassung des Denkens ist weit fortgeschritten, dabei täte ein allgemeines Umdenken not. Ja, das ist unbequem, das erfordert Mut. Aber das war schon immer so, und das ist es heute noch.
Die Schriftstellerin Hilary Mantel fand dazu im Band 3 ihrer Thomas Cromwell-Trilogie folgende, sehr passende Worte: „Es ist nicht falsch zu sagen, was man denkt. Gelegentlich. Sie lassen dich dafür bezahlen, aber es geht nicht anders.“
Hans-Georg Prause